von Friedeborg Seitz
Ich bin auf der Suche, den Blick wachsam nach vorne gerichtet, einem Pfeil oder der Muschel folgend. Auf ein Zeichen zu achten wird mein ständiger Begleiter. Zum Einstimmen für den Pilgerweg kaufe ich mir ein Büchlein, in dem genaue Etappenbeschreibungen mit Streckenprofil enthalten sind. Da lese ich noch einmal die Beschreibung der jeweiligen Etappe des Tages, bevor ich von einem Ort zum nächsten pilgere. Zusätzlich führe ich eine digitale Wanderkarte mit. Ich schaue unterwegs in die Landschaft und folge den Wegzeichen, wie sie kommen. Das verleiht dem Pilgern auch ein Gefühl von Schatzsuche.
Auf gut frequentierten Pilgerwegen ist es mir nahezu unmöglich, mich zu verlaufen. Ich brauche nur den Rucksäcken zu folgen, die vor meinen Augen auf und nieder hüpfen. Anders sieht es aus, wenn ich auf einsamen Wegen, außerhalb der Saison oder zu Tageszeiten unterwegs bin, wo kaum Pilger unterwegs sind. Schwierig kann es sein, wenn mehr Wege an einer Kreuzung abbiegen, als im aktuellen Pilgerführer angegeben sind. Wenn ich dort lese: „Ab dem Steinkreuz am Waldrand links abbiegen“ frage ich mich, welches „Links“ könnte bei drei Möglichkeiten gemeint sein? Scharf links, halb links oder schwach links? So kommt es vor, dass ich fröhlich über das Ziel hinaus schieße und mitten in einer Sackgasse oder im Gestrüpp lande. Ärgern tut es mich nicht. So sehe ich mehr von der Landschaft und ich entdecke manchmal interessante Dinge, die mir auf dem regulären Weg nie aufgefallen wären.
Ein Mal bin ich durch das Privatgrundstück einer alten Dame spaziert, die aus der Tür kam und mir ein fröhliches „Bom Caminho!“ entgegenrief. Dies wurde sogar in dem Pilgerführer explizit erwähnt, damit man sich nicht wunderte. Es handelte sich um einen offiziellen Pfad auf dem portugiesischen Jakobsweg, den die Dame durch ihr Grundstück hat abzweigen lassen. Gelbe Pfeile, Muscheln und ein Marienbildnis waren dort auch vertreten.
In Ortschaften entlang von Jakobswegen ist zumindest in Spanien das Muschelzeichen nahezu omnipräsent. Ob an Hauswänden oder auf der Straße in das Pflaster eingelassen, auf Straßenschildern oder an Gartentoren. Man kann die Zeichen nicht übersehen, wenn man sich nicht gerade mit anderen Dingen ablenkt und unaufmerksam durch die Gassen mäandert. Problematisch kann es werden, wenn zu viel Hinweise auftauchen. So bin ich einmal aus Versehen in einer Stadt anstatt hinaus wieder hineingelaufen, bis ich endlich festgestellt hatte, dass es noch einen Rundweg zu Pilgerstätten innerhalb der Stadt gab.
Auch im Dunkeln kann es schwierig sein, Wegzeichen zu erkennen. Als ich einmal bereits um sieben Uhr Morgens in Spanien aufbrach und es noch stockdunkel war, hatte ich noch keine Stirnlampe und auch kein Smartphone mit einer digitalen Karte dabei, deren Spur ich folgen konnte. Bei jeder Gabelung holte ich mein kleines Handy heraus und leuchtete mit der Mini-Taschenlampe umher bis ich einen gelben Pfeil oder einen Wegstein erblickte. So sah ich, dass ich auf dem richtigen Weg war. Seitdem habe ich die Stirnlampe immer dabei. Sind es nur Zeichen, die ich suche oder das Abenteuer? Pilgerwege haben für mich eine eigene Magie. Ich folge gewissermaßen einer Spur in meiner Seele. Da kann ich mich nicht verlaufen. Wo immer ich vorbeikomme, welchen Umweg ich auch nehme, am Ende des Tages weiß ich, hier bin ich richtig.
© Friedeborg Seitz 2024-12-01