Biografisches von Frau W.

Annemarie Baumgarten

von Annemarie Baumgarten

Story
Regierungsbezirk Chemnitz 1982 – 1984

In einer der ersten Klassen, die sie unterrichtete, saß die spätere Schlagersängerin Regina Thoß. Vorher hatte Frau W. als Sekretärin gearbeitet. Eine damalige Kollegin hatte eine Zeit ihr Diktatzeichen verwendet, um Fehler zu vertuschen, bis alles aufflog. Diese und weitere Mitarbeiterinnen hätten verschriebene Briefseiten mitgenommen – Ersatztoilettenpapier. Da war nicht nur der pure Geiz im Spiel – in der DDR gab es Lieferschwierigkeiten für Waren des täglichen Bedarfs. Jemand soll zu faul gewesen sein, vor der Zweitnutzung das Kohlepapier zwischen den Seiten zu entfernen! Wir mussten in der Kurzeit der W. öfters in die Praxis als geplant, ansonsten Vertretungsunterricht. Anschließend erzählte sie von diesem Aufenthalt, für einige eine Abspeckungskur. Sie bekamen z. B. Reis ohne Salz, Gemüse wurde nach dem Kochen ins Abtropfsieb gegossen. Was durchs Sieb lief, bekamen die Hungerturm-Kandidaten. Früher rannte die W. nach jeder Stunde ins Lehrerzimmer, um zu rauchen. Auch einige Lehrlinge brauchten diese Glimmstängel, sie mussten allerdings auf den Schulhof, wo Raucherecken eingerichtet waren. Die Klassenleiterin sagte aufgrund dessen, einige seien hier aufgeblüht, andere würden schon richtig verlebt aussehen (diejenigen, die mehrmals pro Woche zur Disco gingen, dadurch nicht rechtzeitig ins Bett kamen, stark rauchten). Vor der ersten Bankreihe stehend, sagte sie, einige müssten öfters die Wäsche wechseln. Rauchgeruch zieht in die Kleidung. Sie selbst parfümierte sich stark und trug viel Schminke auf. Bevor nachmittags der Zug fuhr, rauchten Petra und Katrin auf dem Bahnsteig. In Doppelstockzügen war Rauchverbot und keine Unterteilung in Raucher-/Nichtraucherwagen.

„Anstrengung und Erfolg sind ungetrennt ein Paar.“ (Friedrich Rückert)

Vorausscheide für Bezirkswettkämpfe wurden mehr oder weniger im regulären Unterricht ausgetragen. Alle sollten eine Chance haben. Am 16.6.83 kamen die besten 30 Lehrlinge FA für Schreibtechnik des 1. Lehrjahrs aus dem Bezirk Karl-Marx-Stadt in Schwarzenberg zusammen. Ich fuhr früher als sonst los und sah Volker K., einen ehemaligen Mitschüler. Er schien regelmäßig in die Richtung zu fahren. Bei Ankunft war „mein“ Bus weg. Ich wusste nicht, welche Linie noch zu meinem Ziel fährt, wie generell in fremden Städten. So machte ich mich zu Fuß auf in die Richtung, in die der Autobus gefahren war. Unterwegs, ich war noch nicht lange gelaufen, wurde ich von Frau W. und Herrn St. „aufgesammelt“, die mit den übrigen Teilnehmern unserer Schule und den Schreibmaschinen in einem Kleinbus „BARKAS“, über den Betrieb des Ehegatten von Frau W. organisiert, angereist waren. Der Fahrer kannte sich vor Ort nicht gut aus, wir mussten zweimal fragen. Frau W. sagte vor dem Schreiben in der Berufsschule des Waschgerätewerkes „Am Hofgarten“, andere würden auch nur mit Wasser kochen. Die Maschinen wurden vor dem Wettschreibtag in Decken gewickelt, auf der Verpackung mit dem Schulnamen (auf Pflaster) beschriftet und in einem Tragegestell zum Fahrzeug gebracht. In Zwickau waren die Schreibmaschinensäle im oberen Stockwerk, eine ganz schöne Schlepperei. Fahrstuhl gab es wohl nicht. Die Decken dienten nach dem Auspacken der Maschinen als Sitzpolster.

© Annemarie Baumgarten 2024-04-09

Genres
Biografien
Stimmung
Hoffnungsvoll