Bisch Tiroler, bisch a Mensch

Albina Hovhera

von Albina Hovhera

Story

„Bisch miad?“, fragte mich eines Tages die Nachbarin im Treppenhaus. „Beschmiert? Wo denn?“, fragte ich verblüfft nach und strich mit der Hand über das Gesicht ­– die Geheimchiffre des Tiroler Dialekts blieb mir lange Zeit verborgen. „Du hast an der Uni die Nibelungensage auf Deutsch gelesen, du schaffst es schon“, munterte mich meine Freundin auf, als ich mich für den Umzug in das Alpenparadies entschieden habe.

Die Abenteuer begannen schon auf dem Weg hin.„Draas oi“, sagte der Busfahrer, als die Tür im Bus nicht aufgehen wollte. Ich schaltete meine Sprachlogik ein: „draas“ bedeutet wahrscheinlich „drehe es“, „oi“ klingt wie obi, also nach oben. Ich zog den Türgriff nach oben. „Net aui, oi hob i gsagt!“, brüllte gereizt der Busfahrer heraus und machte selbst die Tür auf.

Im neuen Ort angekommen, lernte ich ziemlich schnell meine neuen Nachbarn kennen. „Griaß di“, winkte mir jeden Tag die alte Dame aus der Wohnung gegenüber. „Kristy? Nein, ich heiße Albina“, antwortete ich erstaunt. Sie ist wahrscheinlich senil, dachte ich, nennt mich immer Kristy, obwohl ich ihr schon fünfmal meinen Namen gesagt habe.

Eines Tages lud mich die „Kristy-Nachbarin“ auf einen Kaffee ein und enthüllte die großen Geheimnisse aus unserer Nachbarschaft: „Der isch a Fackalar und seine Frau isch a Bisgurrn“, erzählte mir die Dame mit vertraulicher Stimme über das Ehepaar vom unteren Stock. Ich dachte nach: Ein „Fackalar“ kommt sicher vom englischen „Fuck“, schließlich gehören ja beide Sprachen zu derselben Sprachfamilie. Der alte Herr ist also immer noch sexuell hyperaktiv, wunderte ich mich. „Der Bua von denen isch olm a Sektnschlägl gwesn“, setzte die Nachbarin fort. Aha, das bedeutet also, dass der Sohn auf der Alm lebt, viel Sekt trinkt und schlägert. Kein Wunder eigentlich, wenn sein Vater ein Fackalar ist. „Und a wompat isch er a“, lästerte die Dame weiter. Er ist ein Wombat?? – dafür hatte ich keine Erklärung. „Tue nemb’ ebbes sogn!“, sagte sie zum Schluss und machte große Augen.

Mein Wortschatz in Tirolerisch erweiterte sich um einiges als mein Sohn zur Welt kam. Eines Tages, kurz nach dem ich mit dem Neugeborenen aus der Klinik zurückkehrte, begegnete ich auf der Hausstiege dem „Fackalar-Nachbarn“. Er lächelte mich freundlich an und fragte dann ganz unschuldig: „Zeigsch mir mal dein „Poppele?“. Ich war fassungslos: Wenn also das Dachl ein kleines Dach bedeutet, dann meint er mit dem Poppele meinen kleinen Popo?? Die Nachbarin hatte doch Recht, dass er ein „Fackalar“ ist. Pfui, so ein perverser Alter.

Dann kam die Kindergartenzeit: „Ich habe heute mit denTschurtschn gespielt“, erzählteder Kleine eines Tages.„Das ist ein schlechtes Wort“, erklärte ich ihm.„Warum denn? Die Tschurtschn liegen ja überall am Boden“, antwortete der 5-Jährige und zeigte mir einen Tannenzapfen. „Pass auf, dass die Tschurtschn net owi falt, sonscht kriagsch a binggl“, scherzte die Nachbarin. „Ma ge hey!“, antwortete der Bua zurück.

© Albina Hovhera 2021-11-11

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