von Sandra E. Mae
Liebe Mina, schau dir mal bitte diesen Link an:
Bist du bi? Mach den Test!
„Quizzes“ wie diese mache ich schon, seit ich 15 bin. Seit mich Hannah Mai im Pausenhof unter dem großen Eichenbaum geküsst hat. Seit ich das erste (aber gewiss nicht das letzte) Mal zu Kristen Stewart’s „Sighing Compilation“ masturbierte. Und, seit ich in Alina Iwanowa verknallt bin (mhm, die Cellistin). Oft, wenn ihre Finger sanft und grazil über die Saiten gleiten, und sie sich im Rhythmus des Bogens wiegt, stelle ich mir vor, dass ICH das Cello wäre; dass ICH von ihr berührt würde. Denkst du, ihre Finger auf meiner Haut würden sich genauso weich anfühlen wie ihre langen schwarzen Haare? Sie trägt sie normalerweise immer zu einem strengen Dutt gefasst, aber neulich hat sie mich gefragt, ob ich ihr dabei helfen könne, einen Zopf zu flechten… und dabei sind mir ein, zwei Strähnen ihres Haares über die Wange gestreift, ganz zart und still, und ich hab Gänsehaut bekommen, als wenn mir jemand Eiswürfel in den Nacken gelegt hätte. Wie im Sommer 2016, als mir Jack Sonnrad sagte, dass er mich liebte. Weißt du das noch? Oh, ich war so hin und weg von ihm! Kannst du dich dran erinnern, wie gut er malen konnte? Er war so wunderbar kreativ, und obendrein auch wunderbar hübsch. Gut sah er aus, in seiner abgetragenen Lederjacke, die aschbraunen Haare ein bisschen nach hinten gegelt, ein verwegenes Lächeln auf den vollen Lippen. Und als wir uns das erste Mal küssten, da blieb die Welt stehen. Für einen kleinen, einen besonderen, unvergesslichen Moment.
Ich bin damals nach Hause gekommen und hab mich gefragt, ob ich eigentlich „normal“ bin.
Magst du nun Männer oder Frauen?
Die Frage stellte ich mir die ganze Nacht lang (und manchmal stelle ich sie mir heute noch). Du hast gemerkt, dass ich nicht schlafen kann, mir vom Stockbett aus ein Pfefferminzbonbon runter geworfen und gesagt: „Egal, was dich bekümmert, Schwesterchen, erzähl’s mir, wenn du bereit bist.“
Jetzt bin ich bereit, Mina. Wenn man dem ganzen einen Namen, eine Bezeichnung, geben “muss”, so wie das in unserer Zeit heute wohl oder übel üblich ist, ja, dann bin ich ganz offensichtlich bisexuell. Sagen meine Erfahrungen. Und meine sexuellen Fantasien. Und meine Gefühle und Gedanken. (Und die Quiz-Ergebnisse übrigens auch.)
Eigentlich weiß ich nicht, warum „es“ überhaupt ein „Label“ braucht. Ist es nicht vollkommen egal, welches Geschlecht jemand hat, den man mag? Ich meine, wenn man jemanden gerne hat, dann doch um dessen Herzens Willen. Wegen dem Charakter. Der Persönlichkeit. Der Seele. Aber Liebe ist doch nicht davon abhängig, ob Menschen einen Penis oder eine Vagina haben…
Vielleicht siehst du das ja anders. Vielleicht denkst du jetzt, meine Güte, meine kleine Schwester hat ’nen Knall. Aber weißt du was? Ich bin, wer ich bin. Ich liebe, wen ich liebe.
Ich mag Jungs. Ich mag Mädels. Ich kann damit leben. Kannst du das auch?
Deine Klara
© Sandra E. Mae 2022-06-30