Bist du glücklich? – Teil 2

Kristin Hörning

von Kristin Hörning

Story

Als ich die Wohnung an diesem Abend betrete, empfängt mich der himmlische Duft selbst gekochten Essens. Strahlend nähere ich mich der Küche. Als ich einen neugierigen Blick hineinwerfe, bleibe ich jedoch schlagartig stehen. Was mich erwartet ist kein romantisches Abendessen, vielmehr ein verheerendes Schlachtfeld. Ich erkenne meine eigene Küche, die im tiefen Chaos versunken ist, kaum wieder. Doch das stört mich gar nicht so sehr. Es ist der Anblick meines Freundes, der mich völlig aus der Bahn wirft. Julius rotiert fahrig um seine eigene Achse. Über der rechten Schulter hat er sich das Handtuch gelegt und in der einen Hand hält er Topflappen und Kochlöffel fest umklammert, während er versucht, mit der anderen Hand die Hitze des Herds zu minimieren. Auf seiner Stirn schimmert ein leichter Schweißfilm und seine Augen scannen suchend die gesamte Küche ab.

Sein Blick aber ist leer.

„Was machst du denn da?“, frage ich vorsichtig. Nicht vorsichtig genug. Erschrocken fährt er herum und lässt vor lauter Schreck den Kochlöffel fallen. Offensichtlich hatte er nicht bemerkt, dass ich nach Hause gekommen bin.

„Ach Mist“, schimpft Julius. „Erschreck mich doch nicht so. Jetzt habe ich den beschmutzten Löffel fallen lassen und die Fliesen total eingesaut. Und verdammt, wie geht denn dieser blöde Herd aus?“

Langsam gehe ich an ihm vorbei und drehe die Hitze routiniert herunter. Anschließend nehme ich meinen Freund behutsam aber bestimmt am Arm und schiebe ihn zum Stuhl.

„Setz dich erst mal, alles ist gut.“, versuche ich ihn zu beruhigen. Vergeblich.

„Nichts ist gut! Mach doch die Augen auf! Gar nichts kann ich. Gar nichts!“, schreit er mich an.

„Beruhige dich, es ist doch gar nichts passiert. Wir bekommen das schon wieder in Ordnung.“, appelliere ich an ihn. Doch er ist außer sich vor Wut. Ich habe das Gefühl, sie richtet sich mehr gegen ihn selbst, als gegen den Kochstress oder gar gegen mich.

„Alles ist scheiße, lass mich einfach in Ruhe!“ Mit einem Ruck springt er auf und verlässt fluchtartig die Küche.

Traurig blicke ich ihm hinterher. Es tut mir in der Seele weh, ihn so zu sehen. Zu akzeptieren, dass es ihm offensichtlich schlecht geht und ich ihm nicht helfen kann. Nicht helfen darf. Es zerreißt mir das Herz, wie er sich zu quälen scheint. Wie er mich ausschließt. Ich fühle mich mindestens genauso hilflos, wie er. So machtlos. Ich kann es nicht ertragen, dass er alles mit sich selbst auszumachen versucht.

Doch ich lasse ihn gehen.

Ich gebe ihm Zeit, in der Hoffnung, dass er sich mir schon öffnen wird, wenn er sich bereit dazu fühlt. Und wenn es soweit ist, bin ich für ihn da. Bedingungslos.

© Kristin Hörning 2022-10-04

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