Bitte, zu Tisch

Lorenz Graf

von Lorenz Graf

Story
Österreich 2024

Der Tisch war viele Jahre lang immer ausreichend gedeckt. Die Menschen waren trotz kleinerer Pannen die meiste Zeit zufrieden. Wenn auch das Essen nicht immer ein 4-Sterne-Menü war, so war es doch nahrhaft und es schmeckte. Öfter gab es auch Hausmannskost, die erfreulich gut verträglich war und meist hervorragend schmeckte. Einige Zeit lang war zwar der grüne Salat letschert und welk und die geschmacklosen Tomaten schmeckten faulig. Dafür entschädigten die süßen Nachspeisen, die es gelegentlich gab, auch wenn sie nachher als „Schmarren“ zu bezeichnen waren.

Da erschien eines Tages überraschend ein junger Mann und nahm mit Freunden am Tisch Platz. Die Zufriedenheit stieg und zu einer positiven Aufbruchstimmung gesellte sich eine große Lust am Essen. Selbst einfache Gerichte wurden ohne Weiteres konsumiert. Rundum herrschte allgemeine Zufriedenheit. Doch dann tauchten zwielichtige Kreaturen auf und sie wurden immer mehr. Darunter waren Profileure, Substandards, Faltener, Wolforfler, Silbersteine. Auch ein weibliches Wesen half kräftig mit, obwohl sie blind war. Sie zerrten den Jüngling weg vom Tisch. Als auch seine Gefolgsleute die Tafel verließen, war diese daraufhin ziemlich öd und leer. Neugierig wurden neue Tischgenossen gesucht und erwartet. Und die kamen auch. Brave, biedere und fleißige Menschen. In ihrem Gefolge aber auch lebensunlustige Besserwisser. Die wurden am Tisch zwar toleriert, aber der Essgenuss war geschmälert und manche Speisen sogar als gesundheitsschädlich erkannt.

Neben mir saßen zwei Gäste. Der eine war sehr höflich, nett und er reichte mir das Salz, damit ich meine Speisen würzen konnte. Der andere verhielt sich ruhig. Bald darauf erhob er sich, trat zu mir, spuckte in meine Suppe und setzte sich grinsend wieder nieder. Angewidert verließ ich den Tisch und zog mich zurück. An diesem Tisch wollte ich nicht sitzen bleiben. Ich ging nach draußen und erfreute mich so gut es eben ging an der Natur. Aber lange konnte ich das nicht aushalten. Denn der Hunger zum Überleben kam, wurde immer stärker und unerträglicher.

Mich trieb es wieder zurück zum Tisch. Ich konnte gar nicht aus. Der Tisch war nicht mehr einladend, verunreinigt, wackelig und leider auch nicht sauber. Mich ekelte es sogar etwas, doch ich hatte keine Chance zu entkommen. Der Hunger verlangte seinen Tribut. Besorgt und traurig nahm ich Platz, denn ich wollte nicht verhungern. Ein Mann am Tisch fiel mir erst später auf. Er war eher klein und unscheinbar und fast hätte ich ihn übersehen. Neugierig begann ich ihn näher zu betrachten.

Mein Gott! Es ist der Mann, der mir in meine Suppe gespuckt hatte. Da sitze ich nun hungrig, aber das Essen ist grauslich geworden und will mir nicht schmecken.

© Lorenz Graf 2025-01-09

Genres
Spannung & Horror
Stimmung
Herausfordernd, Traurig