Black Magic Woman

Michael Miller

von Michael Miller

Story
Arusha Afrika

Sengende Hitze ĂŒber Arusha. Mein Nachtaufstieg auf den schneebedeckten Kilimandscharo liegt hinter mir. Das T-Shirt klebt an meiner Brust wie eine zweite Haut. Schon am Nachmittag schmeckt das Bier. Die dicke Kneipenmama in ihrer Bretterbude bringt mir hĂŒftschwingend eine neue KehlenkĂŒhlung. Ich ĂŒbernehme die Runde am Nachbartisch, komme ins GesprĂ€ch. Johnny, ein altersloser Typ mit BaseballmĂŒtze spricht etwas Deutsch. Seine drei Freunde können leidlich Englisch. Wir lachen, trinken, reden mit HĂ€nden und FĂŒĂŸen – ein fundamentales Weltprinzip der VerstĂ€ndigung. Neues ruft. Ich will Schwarzafrika pur erleben, dort, wo noch kein Weißer war. Meine neuen Kneipenfreunde diskutieren meinen Wunsch, laut gestikulierend. Die Kneipenmutter faucht sie in scharfem Ton an. Anscheinend ist sie strikt gegen den sich abzeichnenden Plan. Ihr Toben wird von den MĂ€nnern ignoriert. Schon stehen wir auf der Straße. Mohammed, der gemĂŒtliche Dicke, organisiert einen zerbeulten Lastwagen, wir rollen in die aufkommende DĂ€mmerung. Nach zwei Kilometern gibt es keine Straßenbeleuchtung mehr, die Schlaglöcher nehmen zu. Ein diffuses AngstgefĂŒhl aus der Magengegend steigt auf. Erste Funzeln an WellblechhĂŒtten spenden wieder mehr Licht. Dunkle Gestalten huschen durch verdreckte Gassen, dazwischen schrilles FrauengelĂ€chter. „Wir sind da“, meint Johnny. Wir springen vom Lkw, direkt in die schummrige Kneipe. Ich sehe MĂ€nner mit Bierflaschen in der Hand, dazwischen ein paar Frauen, wohl aus dem horizontalen Gewerbe. Die GesprĂ€che verstummen, als sie mich – den weißen Eindringling – abschĂ€tzig mustern. Auch meinen vier Begleitern ist es nicht wohl in ihrer Haut, selbst schwarze Fremdlinge in der Gegend. Ein massiger Körper rempelt mich von hinten an, Gruselgeschichten ĂŒberrollen mich in Sekundenschnelle: „Wer als Weißer nach 20 Uhr in solch schrĂ€gen Bezirken unterwegs ist, wird am nĂ€chsten Morgen als Leiche irgendwo verscharrt gefunden.â€œÂ ï»żIn der spannungsgeladenen AtmosphĂ€re trommelt Mohammed plötzlich leise mit seinen HĂ€nden afrikanische Rhythmen auf dem abgewetzten Holztisch. KlĂ€nge, wie aus dem Nichts aufsteigend. VerstĂ€rkend greifen die drei Freunde den Rhythmus auf. Ich reihe mich ein, imitiere immer eindringlicher Carlos Santanas Melodiebögen aus voller Kehle. Got a black magic woman, make me so blind I can’t see. But she’s a black magic woman, and she’s trying to make a devil out of me. Einige finstere Kerle haben die Arme vor der Brust verschrĂ€nkt, durchbohren mich mit ihren Blicken. Am Nachbartisch stimmen jetzt zwei Typen ein, erfinden passende Gegenrhythmen, grinsen uns zu. Ich stelle mich auf meinen wackligen Stuhl, wiederhole lautstark die magische Strophe. Eine kleine Gruppe hinten am Tresen singt im Echo. Santana haben sie im Ohr, wohl begnadete ImprovisationskĂŒnstler? Zentnerschwere SĂ€cke fallen von meinen Schultern. Ich drehe mich zu ihnen, wechsle zu „Oye cĂłmo va – mi ritmo bueno pa‘ gozar mulata“. Alle sind dabei, als ob wir das vorher professionell geprobt hĂ€tten. Nach meinem Energiewirbel sinke ich erschöpft auf meinen Stuhl. Ein paar Frauen klatschen spontan Beifall, erheben sich von ihrer Bank, andere stimmen ein. Gegen Mitternacht verabschieden wir uns. Noch nie habe ich so viele schwarze HĂ€nde abgeklatscht, so viele freundliche Gesichter auf einem Fleck gesehen. Einer ruft uns nach: You come again tomorrow? Ich drehe mich um: Let’s see, maybe.

© Michael Miller 2023-11-18

Genres
Romane & ErzÀhlungen
Stimmung
Abenteuerlich, Herausfordernd, Emotional, Reflektierend, Angespannt
Hashtags