Blau-weißer Teppich

Annika Herda

von Annika Herda

Story

Da sitze ich, am Boden zusammengekauert vor dem Bett. Eine Träne nach der anderen kullert die Wange hinab und jedes Mal, wenn ich mir denke, jetzt reicht es mit dem Selbstmitleid, werde ich von neuen Schluchzern durchgeschüttelt. Beschissene Hormone! Gar nicht mal so gemütlich hier. Der blau-weiße Ikea-Teppich, den ich seit einer Stunde streichle, ist eigentlich nicht mal wirklich schön, aber einen Teufel werde ich tun und ihn wegschmeißen. Er steht für alles, was mir geblieben ist. Ich liebe unser Schlafzimmer. Geschmackvolle Vollholzmöbel und dekorative Zierkissen. Nichts davon habe ich eingerichtet. Na gut, der blau-weiße Teppich steht wohl vor allem für eine große Portion Trotz.

Ich habe immer schwangere Frauen belächelt und jetzt gehöre ich selbst zu denen die intuitiv ihren Bauch streicheln. Geistesgegenwärtig wandert meine Hand die kleine Wölbung (na gut, es ist eine große Wölbung die zu zwei Dritteln aus Schokolade besteht) auf und ab während ich versuche meine rastlosen Gedanken zu sortieren. Es gelingt nicht.

Ich lebe den Traum. Ein schönes neues Zuhause, ein Mann der mich liebt und ein kleines Herz unter meinem eigenen. Was ist also los? Ich komme zu dem Schluss, dass 9 Monate nicht ausreichen, um mich auf etwas derart lebensveränderndes vorzubereiten. Ich beneide Elefanten um ihre Tragezeit. Dachte ich ein spontaner Mensch zu sein, muss ich eingestehen, dass ich unheimlich lange brauche um mit Veränderungen zurechtzukommen.

Es ist die absurde Ambivalenz der Gefühle, die meinem Charakter leicht schizoide Züge verleihen. Da ist einerseits pures Glück und unendliche Vorfreude. Kaum in Worte zu fassende Begeisterung, die man wohl zuletzt als Kind zu Weihnachten empfunden hat.

Doch da ist auch die Kehrseite. Das Gefühl seine Autonomie zu verlieren überrollt einen manchmal. Man lässt die Finger von der Zigarette, die man eigentlich immer so genossen hat und vermeidet wie ein Suchtkranker plötzlich Orte, an denen Alkohol ausgeschenkt wird. Jetzt sortiert man samstags Handtücher, statt die Clubs unsicher zu machen.

Wenn der Liebste freudestrahlend mit einem schönem, sündteurem neuen Besteckset nach Hause kommt, fühlt es sich aus irgendeinem Grund an, als würde man einem guten alten Freund Lebewohl sagen, während man die alten Gabeln aussortiert, mit denen man schon so oft verkatert Nudeln in sich geschaufelt hatte.

Das Tanztraining schwänzt man immer öfter, weil man weiß, dass man bei der Abschlussshow nicht dabei sein wird.

Ich atme schwer, weil der BH zwickt und bereue, die C-Körbchen nach meiner Abnahme entsorgt zu haben. Die kleinen B-Dinger wirken plötzlich lächerlich. Der Anblick in den Spiegel bereitet mir Unbehagen. Wo bleibt er denn, der berüchtigte Schwangerschafts-Glow? Tief in mir drinnen, ist da dieses Urvertrauen, dass es das wert ist und das schönste Abenteuer meines Lebens auf mich zukommt, aber bis dahin werde ich bestimmt noch ein, zweimal den blau-weißen Teppich streicheln…

© Annika Herda 2023-02-16

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