von Helene Volkmer
Weite Straßen, die wenig befahren sind, so frei ist der Feierabendverkehr wie deine Gedanken lange nicht mehr. Stumm schaust du auf dein Handy neben dir, eine Freundin hat dir geschrieben. Resigniert wandern deine Augen wieder zum Seitenspiegel, ihre Worte wandern dir in den Sinn.
Lebe dein Leben, lass den Frust dich nicht fressen und vergesse nicht zu essen, wenn der Stress wieder alles in deinem Kopf dicht macht. Sei doch fröhlich, geh doch mal raus. Lass die Sonne auf dich scheinen, dann sieht gleich alles besser aus. Geh doch raus, lebe doch mal. Sei nicht so schüchtern, lächle doch mal. Lass die Arbeit nicht alles übernehmen, nimm dir Zeit für dich. Dir geht es doch gut.
Gut ist so ein einfaches Wort, das schon wieder unglaublich kompliziert ist. Nicht gelebtes Leben mit schweren Dingen zum Heben, lass dir nicht alles über den Kopf wachsen, obwohl du schon bis zum Hals mittendrin steckst.
Du wolltest doch mal eine Pause machen, den Alltag vergessen und eine Reise ins Nichts machen. Blick in den Rückspiegel, Krise wegen zweitem grauen Haar, das Alter schleicht sich langsam, aber unaufhaltsam von hinten an und manchmal friert alles im Grau ein. Dann denkst du aber wieder, das kann nicht sein, andere sind doch so am Strahlen, egal wie alt und egal in welchen Lebensphasen. Mental Load wird immer größer und schwerer, der Blick leerer und alles verschwommen und verronnen, gelebtes Leben gelebt ohne zu leben, ohne mal vor Euphorie zu schweben und sich im Regen lachend im Kreis zu drehen. Was ist, wenn du 40 Jahre gearbeitet und dabei nie mal an dich gedacht hast. Nie wirklich was riskiert, nur um andere glücklich zu machen.
Stolz auf Zeiten, die verstreichen und sich nie wieder ereignen, nicht, dass du nicht glücklich warst, aber erfüllt wie in deinen Träumen war es nicht. Noch bist du ja da, wunderbar, weg, weg, weg, wenn es nicht mal anders vonstattengeht und fällt.
Das Wasser steigt bis zum Kinn, wo sind denn alle Rettungsleinen hin, du wolltest doch einfach das tun, was nur du willst. Wieder wandert dein Blick zum Seitenspiegel, alles klar, Blick ist frei. Der Blick im Rückspiegel zeigt die voller werdende Straße mit noch mehr anderen Leuten, auf die du auch noch aufpassen und achtgeben sollst.
Du wünschst dir, der Blick in deinen Rückspiegel sähe anders aus.
© Helene Volkmer 2022-08-15