von neli
Meine Gymnasialzeit am BORG (beim Eintritt hieß das noch „Musisch-pädagogisches Realgymnasium) war – in der Gesamtbeschau: in Ordnung.
Wir hatten mehr oder weniger prägende, beeindruckende, nachhaltige, nachahmenswerte Lehrerpersönlichkeiten: Menschen, die durchaus ihre Macken hatten und teilweise verstörend agierten, aber im Großen und Ganzen fühlte ich mich wohlwollend und respektvoll behandelt.
Mein Überlebensgarant war der Klassenvorstand, fachlich zuständig für Mathematik. Er agierte nach dem Motto: „Leben und leben lassen“. Auf ihn war Verlass. Ich musste die Hausübungen nicht in der Pause abschreiben, sondern konnte dies gemütlich nach dem Läuten erledigen, weil er immer unpünktlich zum Unterricht erschien. Dann bekamen wir eine Übungsaufgabe, und er schrieb im Klassenbuch. Gelegentlich tönte ein brummiges: „Geh, hörts doch einmal auf mit dem Gequatsche da hinten!“ Nach den Klassenbucheintragungen schrieb er neuen Mathestoff an die Tafel, den wir verstehen hätten sollen (einige von uns schafften das auch spontan) und die Stunde war vorbei.Wir mochten ihn. Er behandelte alle Schäfchen seiner Klasse, ungeachtet ihres mathematischen Talents gleich. Und er bescherte mir das schönste „JA“ meines Lebens. Am Beginn der 6. Klasse auf die Frage: „Herr Professor, bin ich bei der Nachprüfung durchgekommen?
Musik-und Gitarrestunden liefen anders ab. Da wurde gefordert. Talent, Fleiß und Übungsbereitschaft und nur wenige von uns konnten dem, was die Herren erwarteten, genügen. Immer wieder hatte jemand einen „zufällig“ verletzten Finger, um nicht vorspielen zu müssen und für die meisten meiner Mitschüler war der Musiksaal die Kammer des Schreckens. Schade eigentlich, denn Musik sollte nicht aversiv besetzt sein. Wer es ernst nahm, kam allerdings auf hohem Niveau ausgebildet aus der Schule.
Ähnlich unerbittlich agierte der Chemieprofessor in der siebten Klasse. Er war überzeugt, dass alle Welt von seiner Wissenschaft ebenso durchdrungen sein müsste wie er. Wenn er sein Notenbuch am Beginn der Stunde zückte, hätte man eine Nadel fallen hören und 30 Jungmenschen litten kollektiv schlagartig an derselben Abnormität: die Ohren wuchsen direkt an den Schultern heraus. Je nach Wissensstand des bedauernswerten Prüflings kam es entweder zu donnerndem Gewitter oder beifälligem Nicken und danach rauschten uns die Formeln grad so um die Ohren. Die waren beim Prof übrigens auch nicht schlecht. Als Reaktion auf einen herzhaften Nieser meinte einer der Mitschüler aus dem Notstands -Karree ganz hinten leise: „Zerreißen sollts di!“ Worauf hin der Professor mit seinem hünenhaften Körper auf ihn zuschoss, dem zu laut – Flüsterer den Zeigefinger entgegenbohrte und blaffte: „Und da gröschte Brocken, Eder, der soll DI daschlogn!“
Wunderlicher weise war der Schüler Eder bei der Prüfung (Überraschung!) in der darauffolgenden Stunde ausnahmsweise einmal vorbereitet. (Noch größere Überraschung!)
© neli 2020-06-03