von MISERANDVS
“Schmerz ist relativ.”, sage ich mit dem brustbrummenden Unterton des Philosophen in mir. Der Mann in der weißen Kuft, mit dem ungarischen Slang und den zittrigen Händen lächelt gequält. “Wenn beim zweiten Mal nicht klappt, dann rufe ich Kollegin.”, sagt er, und greift zum Telefon. “Ach kommen Sie!”, muntere ich ihn auf, während mir die rote Plörre aus den beiden Einstichlöchern am Handrücken suppt: “Sie und ich! Wir packen das gemeinsam.” Er nickt. Als er mir auch den zweiten Handrücken perforiert hat, schmeißt er die Nerven und ruft die Kollegin. Ich bin enttäuscht. So ein weichflötiges Herumgeeirer! Von einem Kerl! Ist doch nur Blut! Und Mutti meint immer: “Menschenfleisch will gepeinigt sein.” Dass Schmerz relativ ist, will er mir nicht abkaufen.
Kurz drauf geht die Türe auf, und eine junge Ärztin stapft an das Subjekt am MR-Tisch, welches ich bin, heran. Sie greift sich das Zugangsset und will wortlos nach meiner Pranke fassen. Ruckartig ziehe ich diese zurück. Sie sieht mich fragend an. “Wie schaut das aus mit Pfoten desinfizieren?”, frage ich: “Schließlich haben sie da grade noch die Türschnalle angefasst, die heut schon etliche schweißverseuchte Griffel angepackt haben.” Sie funkelt mich an. “Ja, da hilft alles nix. Und Grüßen kost‘ wohl auch extra hier, wie? Und dass man sich erst mal vorstellt, bevor man einem ans Blut will, steht wohl auch nimmer am Lehrplan, Frau Doktor, wie?”
Ja, ich bin stinkig, wenn einer dieser Weißkittel maulfaul an mich herantritt, Hygiene und Benimm außer Acht lässt, und mich behandelt, wie ein Stück Vieh. Frau Doktor stapft missmutig an den Spender, pritschelt sich die Pfoten mit der Lösung ein. “Zufrieden?”, meckert sie mich an. “Guter Anfang!”, antworte ich, und ich ergänze: “Guten Tag, Frau Doktor.” Sie grunzt irgendetwas Unverständliches. Näher kommen wir an eine halbwegs anständige Begrüßung nicht heran. Ihren Namen kenne ich noch immer nicht, und er soll auch ihr Geheimnis bleiben. Sie sticht mir die Nadel in den Handrücken. Versteht sich von selber, dass sie das so macht, dass ich richtig viel davon habe. Die Genugtuung eines “Auas!” gebe ich ihr nicht. Sie dreht sich wort- und grußlos um und brunhildet aus dem Raum. Mein ungarisches Nervenbündel starrt eingeschüchtert in die nachklingende Stimmung, die im Raum zurück bleibt.
Es gibt so viele gute “Kittel”, deren Arbeit und Wesen ich hoch schätze. In meiner langen Schmerzzeit hab ich einige davon kennenlernen dürfen. Aber es gibt auch mindestens so viele Schlächter unter ihnen, die selbst Patienten in der Pathologie noch den Angstschauder auf den Buckel treiben würden. Man muss meiner Xanthippe zugute halten, dass sie im ersten Anlauf den Zugang legen konnte. Doch mein Lobgesang auf sie endet halt auch gleich nach der ersten Strophe. Schade, dass Empathie und Manieren an der Med nicht gelehrt werden!
Zum Glück weiß ich mich durchzusetzen, und ich empfinde per se wenig Respekt vor Göttern – selbst, wenn sie weiße Kittel anhaben.
© MISERANDVS 2022-02-09