von Rebekka Görtler
Ferien bei Oma. Was kann es denn Besseres geben? Gute Gespräche, leckeres Essen, Radtouren und Erholung pur. Wer braucht schon Dubai, wenn es doch auch Nordhausen gibt?
Wir sitzen in der Küche auf Barhockern an der Theke. Auf dem Herd neben und blubbert Gemüse im kochenden Wasser und Pinienkerne rösten langsam vor sich hin. Oma blättert durch die Zeitung. Lokalnachrichten? Sport? Politik? Nö. Todesanzeigen. „Da kannst du dir Inspiration für deinen neuen Kriminalroman holen“, sagt sie, „Mord und Totschlag, so weit das Auge reicht.“
Ich schüttle heftig den Kopf. „Na, das will ich aber nicht hoffen.“
„Doch, doch.“ Omas Finger wandert Zeile für Zeile nach unten. „Ilse Schröder“, liest sie vor, „Ach, einfach unfehlbar. Da gehe ich später gleich noch einkaufen und lade Heribert zum Abendessen ein. Mal sehen, was wird.“ Ich verstehe nur Bahnhof. Ilse? Heribert? „Hier: Bla, bla. Unerwartet verstorben. Genau. Vergiftet.“
Jetzt ist meine Neugier geweckt. Ich beuge mich vor, aber: „Das steht da doch gar nicht, Oma. Das hast du dir nur ausgedacht.“ Meine junge Großmutter ist eine unverbesserliche Geschichtenerzählerin.
„Das ist kein Märchen“, beharrt sie empört, „Das weiß ich nämlich aus erster Hand.“ In Omas Gesicht stehen tausend Geheimnisse. „Du erinnerst dich doch noch an die Cakepops, die ich gebacken habe, oder? Zitrone und Schokolade.“ Natürlich. Sie hat mir ausdrücklich verboten, davon zu naschen, weil diese nur für “nette Bekannte aus dem Dorf“ bestimmt waren. Grummelnd habe ich die süßen Teilchen zurückgelegt und noch verärgerter habe ich sie diesen netten Bekannten mit dem Rad vorbeigefahren.
„Gartengasse 5b?“ Ich nicke. „Das Haus der Schröders.“ Ich starre Oma entgeistert an, während sie sich eine knusprige Pinie aus der Pfanne stibitzt und sie sich in den Mund wirft. „Ich wusste, dass Ilse niemals die Schoko-Pops anrühren würde. “Zu viel Zucker.““ Sie rollt die Augen und macht lächerliche Gänsefüßchen in die Luft. „Also habe ich in den Zitronenteig einfach all das hineingemischt, was der legale Gifthandel so hergegeben hat.“ Sie lächelt und futtert noch einen Kern.
Deshalb durfte ich also nicht probieren. Das Gebäck war vergiftet! Mir wird ganz schlecht vor Schreck. Meine Oma hat einen Menschen ermordet! Und als Botin bin ich auch noch Mittäterin! Ich bin ganz durcheinander. „Wieso?“, krächze ich. Meine Kehle ist furztrocken.
Oma zuckt. „Wieso, weshalb, warum. Wen interessiert das schon?“ Mich! „Heribert und Ilse, das hat doch noch nie zusammengepasst. Er, der gutaussehende Ex-Polizist und sie, die olle Schabracke.“ Kein Kommentar von mir. „Ich klingle gleich mal durch und lade Heribert für heute Abend ein.“ Sie greift zum Handy. „So viel ich weiß, hat er einen Enkel in deinem Alter. Vielleicht ist der ja was für dich.“
Ich bin fassungslos.
„Und sollte der doch schon eine Freundin haben…“, Oma sieht vom Display hoch, „Du weißt ja, was zu tun ist. Du hast es im Blut.“
© Rebekka Görtler 2022-09-26