von Tobias Bachmann
Farben auf der Haut, in dicken Schichten. Gekleistert, beschmiert, verklebt, mit baren Händen auf mich drauf geklatscht, befummelt und verwischt. Zu Beginn dachte ich, es sei ein Spiel und zudem auch durchaus reizvoll, als ich mich auf die Annonce meldete, in der ein Künstler um Models bat, die bereit wären, sich von ihm bemalen zu lassen. Das veranschlagte Taschengeld war großzügig, und so meldete ich mich. Ob das auch mit dunkler Hautfarbe gehen würde, wollte ich wissen und der Künstler bejahte dies. Wie das mit den Haaren sei?
„Sie werden von oben bis unten mit Farbe voll sein. Danach machen wir die Fotos und dann dürfen Sie duschen.“
„Auch der Intimbereich?“
Natürlich auch der Intimbereich. Seine Finger stellten sich dabei gar nicht mal so ungeschickt an. Ich war wie elektrisiert. Bald war auch er nackt und über und über mit Farbe voll. Die Leinwand, auf der wir uns liebten, würde neben den Fotos teuer einen Käufer finden, beteuerte er. „Wer kauft denn sowas?“, dachte ich etwas später unter der Dusche.
Einige Wochen später saß ich im Wartezimmer meines Gynäkologen. Meine Regel war ausgeblieben und ein Test aus der Apotheke positiv. Als ich endlich vorgelassen wurde, begann die Untersuchung. Die Finger des Arztes waren nicht halb so geschickt, wie die des Künstlers es gewesen waren. Das Gleitgel für den Ultraschall war zu kalt und überhaupt war ich froh, als ich das ganze Prozedere überstanden hatte.
„Herzlichen Glückwunsch“, hatte er zu mir gesagt. Danach sollte ich nochmal ins Wartezimmer, um dann nochmal in das Büro des Arztes zu kommen, da er mit mir den Mutterpass und das Prozedere der nächsten neun Monate besprechen wollte.
Als ich das Zimmer betrat, erschrak ich bis ins Mark. Der Doktor saß an seinem Schreibtisch und erklärte irgendetwas von regelmäßigen Pflichtuntersuchungen und Kontaktaufnahme zu Hebammen, während ich nur Augen für das großformatige Bild hatte, das hinter ihm an der Wand hing.
„Aus der Reihe: Farben der Liebe„, stand nebst des Künstlernamens auf einem Schild.
Die Schwangerschaft verlief vorbildlich, ohne Komplikationen. Bei nahezu jeder Pflichtuntersuchung bei meinem Frauenarzt konnte ich einen Blick auf das Bild erhaschen, das mir von Mal zu Mal besser gefiel. Ich hatte ihn sogar gefragt, was er dafür haben wollte, doch er hatte nur abgewunken.
„Dergleichen können Sie sich nicht leisten, gute Frau. Der Künstler steht derzeit hoch im Kurs. Wenn Sie mich Fragen, ist das Bild eine Wertanlage. Daher möchte ich es nicht veräußern.“
Als es dann so weit war, und meine Tochter geboren wurde, war dies in doppelter Hinsicht ein Wunder. Nicht nur das Wunder des Lebens war es, das ich in besonderer Weise hier meine, sondern noch etwas ganz anderes, was sich bald herumsprechen würde: Ihre Hautfarbe … sie war … nein, sie ist … Schillernde Farben, die ineinander übergingen, so als hätte ihr Künstlervater sie gemalt. Mein Arzt war beeindruckt und schenkte mir das Bild, das – wie er feststellte – der Hautfarbe meiner Tochter Pore für Pore in jeder Farbnuance glich.
© Tobias Bachmann 2024-03-09