Bourbon & Phiole

Melanie Hofstätter

von Melanie Hofstätter

Story

Sollte mich jemals jemand fragen, woher das kam, oder was genau ich damit bezwecken wollte, ich könnte ihm keine Antwort geben. Wirklich, ich denke ja heute noch darüber nach, aber ich kann einfach keinen Sinn erkennen. Wie so vieles im Leben: Man trifft arbiträre Entscheidungen und dann läuft es eben auf eine bestimmte Weise. In einer Art Impuls. Hätte ich etwas anderes getan, wäre alles anders. Wäre ich anders. Aber jetzt ist es eben so und ich kann da auch gar nichts mehr machen.

Als Mensch stehe ich ständig vor einer Entscheidung nach der anderen, da ist es nur natürlich, dass man nicht über alles tiefgehend nachdenkt. Als ich also an diesem Abend vor dieser Tür stand, vor die mich meine Beine getragen haben, hätte ich mich auch wieder umdrehen und gehen können. Ich hätte es auf sich beruhen lassen können. Aber das habe ich nun mal nicht, ich war schließlich schon hier und hatte für das Zugticket gezahlt. Mich extra mitten in der Nacht herbewegt. Ich hatte mir vorgenommen, konsequenter zu werden. Und nicht alles unter den Tisch fallen zu lassen.

Ich fröstelte und zog die Jacke enger um mich. Mein behandschuhter Zeigefinger schwebte einige Sekunden oder Minuten zögernd über der Klingel. Ich warf einen Blick über meine Schulter. Die Straße lag dunkel und still hinter mir, nur jede zweite Straßenlaterne aufgedreht, um Energie zu sparen. Menschenleer. Klar, es war ein Uhr morgens in der Vorstadt. Mein Blick fiel wieder auf das strahlende Rot meiner Handschuhe. Jetzt oder nie. Mein Finger zuckte, dann drückte er ab. In der Stille erschien mir das Läuten dreimal so laut, es hallte den Flur entlang.

Eine Minute vergeht, dann noch eine. Meine Hände fühlen sich in den Jackentaschen wärmer an. Da, oben, ein Licht. Ich umfasse dieses kleine Etwas in meiner Jackentasche. Es ist noch da. Ein Poltern, ein Seufzen. Eine Türklinke, ein Spalt, ein Gesicht. Ein Paar große Augen.

„Was machst du hier?“

„Darf ich reinkommen?“

Er schlurft zur Seite, öffnet mir die Tür. Reibt sich die Augen. Streicht sich durch den chaotischen Schopf. Er will sich die Haare richten, denke ich. Für mich. Oder für sein Ego. Ich trete ein, lege die Jacke ab. Behalte die Handschuhe an. Die kleine Phiole fest bei mir.  Frage mich, was später sein wird, um vier Uhr morgens, wenn ich im ersten Zug nach Hause sitze. Ob ich überhaupt eine Wahl hatte. Ob dies eine Entscheidung ist, die ich nie getroffen habe, nie treffen konnte. Und deshalb nie begründen werden kann. Als wäre ich gestolpert und hier gelandet, mit einem kleinen Fläschchen Flüssigkeit und dem Willen, Leben zu verändern, zufällig in meiner Tasche.

„Hast du Bourbon da?“

Ich hoffe, niemand würde mich jemals nach dem Grund fragen. Ich würde ihm keine Antwort geben.


© Melanie Hofstätter 2024-02-29

Genres
Romane & Erzählungen, Spannung & Horror
Stimmung
Dunkel, Mysteriös, Angespannt