Für Mathe wurde ein bisschen geschummelt. Ausnahmsweise. Die gesamte Spielzeugmannschaft war nach intensiver Tagung einstimmig zu dem Schluss gekommen, dass man auch mal fünfe grade sein lassen muss. Ein Auge zudrücken. Nicht päpstlicher sein als der Papst. Selbst Fräulein Rottenmeier hatte ihre Bedenken über Bord geworfen und der kleinen Trickserei zugestimmt. Während Philippa lustlos vor dem aufgeklappten Hausaufgabenheft kauerte und jede Chance zur Ablenkung ergriff (Sitznachbarn, Staubflusen, Fliegen, einfach alles), hatten sich ihre drei Schutzengel geschickt postiert. Mary saß direkt neben ihr und rührte sich nicht. Fräulein Rottenmeier hatte sich Zugang zu dem Büro verschafft und hielt über das Telefon eine Standleitung zum Kinderzimmer. Pippi huschte wie elektrisiert zwischen den beiden hin und her und gab Aufgaben in die eine Richtung und Lösungen in die andere Richtung weiter. Im Kinderzimmer purzelten die Minions nach Anweisung von Graf Zahl, dem Gaststar aus der Sesamstraße, hin und her. 20 + 5, 18 – 11, 27 + 3. Graf Zahl rechnete hoch konzentriert, Ted sprach die Ergebnisse in das Handy von Philippas Mutter, das sie aus ihrer Handtasche gemopst hatten. Der PIN war Philippas Geburtstag. Kein Hexenwerk, ihn zu entschlüsseln. Mary flüsterte die Lösungen ganz leise in das Ohr des Mädchens. So leise, dass sie dachte, selbst auf die Zahl gekommen zu sein, und sie wie nebenbei auf das Papier kritzelte. Etwa schief und krakelig, doch lesbar und vor allem: Korrekt. „Heute gehen Dir die Hausaufgaben aber fix von der Hand“, lobte Betreuerin Bettina, die wusste, dass Mathe und Philippa auf Kriegsfuß standen. Die brummelte nur und sah zu, dass sie fertig wurde.
Dann war es endlich so weit: Die Mutter holte sie und Leon zusammen vom Hort ab. Auf dem Heimweg gab es als Belohnung für die vollständigen Hausaufgaben und das eintragsfreie Berichtsheft ein Eis für die beiden. Zu Hause wurde getobt, gespielt, gelacht und das Spielzeug auf Trab gehalten. Tablet genoss die mütterlicherseits verordnete Ruhepause im Küchenoberschrank. An Waffen kamen die Laserschwerter und im Garten die Wasserpistolen zum Einsatz. Später, als die beiden Abenteurer müde wurden, verzogen sie sich mit Taschenlampe und Wimmelbuch in die selbst gebaute Bude unter dem Hochbett. Die Mutter brachte ein Tablett mit Broten, Obst und Limonade nach oben. Das stellte sie vor dem mit Decken eingerichteten Verschlag ab und zog sich nach ein paar Hinweisen bezüglich des Umgangs mit gefüllten Trinkbechern und fettigen Salamischeiben wieder zurück.
Hier hinter den Decken, in dem schwachen Schein der Taschenlampe, dicht zusammengerückt über dem Wimmelbuch, bekam Philippa ihren ersten Kuss. Einen dicken, feuchten Schmatz auf die Wange.
Das ganze Spielzeug hielt den Atem an. Teddy, Leo, Woody. Barbie und Ken. Die drei Engel. Playmobil und Lego. Die Power Rangers. Lucky Luke. Asterix und Obelix. Susi und Strolch, Rantanplan, Idefix, Pluto. BabyBorn. Hui Buh. Und alle anderen, die jeden Tag ihr Bestes gaben, um ein ganz besonderes Mädchen glücklich zu machen.
Später, als Leon längst von seinem Vater abgeholt worden war und Philippa sich gemütlich in ihr Bett gekuschelt hatte, hörten sie alle diese Worte aus dem Mund des Mädchens. Leise, verschlafen, genuschelt, und doch unüberhörbar: „Danke für alles. Ich hab euch sehr, sehr lieb.“
© Margot Lamers-Zigan 2024-02-23