Brennende Blicke

Lenny Hahn

von Lenny Hahn

Story

Auch Eli beteiligt sich jetzt am Gespräch. „Als du vom CSD erzählt hast, habe ich nur daran denken können, dass ich im Ernstfall nicht einfach schnell weglaufen hätte können. Gleichzeitig wäre ich durch den Rollstuhl sehr einfach als leichtes Angriffsziel erkannt worden. Ich steche immer aus der Menge heraus, und ich habe das Gefühl, dass viele überhaupt nicht mich sehen, sondern nur noch den Rollstuhl. Dabei vergessen sie dann, dass ich genauso Grenzen habe wie alle anderen Menschen auch. Dass ich nicht die ganze Zeit angestarrt werden möchte. Und dass ich ganz sicher nicht gefragt werden möchte, was passiert ist.“ Elis Stimme klingt wütend, wenn man aber genauer hinhört, verbirgt sich Resignation darunter. Oder Erschöpfung. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, von seinen Mitmenschen ständig so übergriffig behandelt zu werden. Immer wieder dieselben Fragen abblocken zu müssen. „Ich meine, hallo, wieso denken die Leute, dass ich es ihnen schuldig bin, meine gesamte Krankheitsgeschichte offenzulegen, nur weil ich es wage, als behinderte Person in der Öffentlichkeit zu existieren? Am liebsten würde ich zurückfragen, ob sie schon mal eine Darmspiegelung hatten.“ Das freche Grinsen verrutscht in ein trauriges Lächeln. „Aber meistens schaffe ich es überhaupt nicht, für mich einzustehen in solchen Momenten, weil ich so überfordert bin.“ Ein kurzer Blick zu Isa scheint Eli noch an etwas anderes zu erinnern. „Ich kann nie wirklich ich selbst sein. Selbst in queeren spaces bin ich immer nur die Person im Rollstuhl. Meine queerness ist aber genauso ein Teil von mir. Es ist seltsam. Ich werde ständig von Fremden angestarrt, aber keiner von denen sieht mich richtig, egal wie sehr ihre Blicke mir Löcher in die Seele brennen.“ Theo lacht leise auf. Anstatt zu erklären, was ihn belustigt, fragt er nur, ob Eli deshalb hier ist. „Ich bin aus so vielen Gründen hier. Ich möchte, dass Intersektionalität und Ableismus keine Fremdwörter mehr für die meisten bleiben und behindert keine Beleidigung. Ich möchte, dass Barrierefreiheit selbstverständlich wird und kein halbherziger Nachgedanke. Ich möchte, dass Menschen bewusst wird, dass ein Rollstuhl für die meisten von uns Freiheit bedeutet. Dass wir nicht bemitleidenswert sind. Und dass es nicht immer Beleidigungen sind, sondern dass oft Kleinigkeiten einem mitteilen, dass man nicht wirklich erwünscht ist.“

~~~

Ich spürte, wie die Vorfreude in mir blubberte, bunt und glitzernd. Die weiche Abendsonne tauchte alles in sanftes Licht, zeichnete die Stadt orange und ließ uns strahlen. Einige kühlblaue Tropfen eines Springbrunnens landeten auf meiner aufgewärmten Haut. Ich hatte vergessen, wie frei es sich anfühlen konnte, das Haus zu verlassen. Ausgelassen und voller freudiger Erwartung erreichten wir schließlich das queere Zentrum, in dem die Feier stattfand. Erst als Celina und Tamara den Blick auf die Tür freigaben, erkannte ich das Problem. Stufen. Tamara zog ihre gefärbten Augenbrauen zusammen. „Hattest du nicht extra nachgefragt, ob die Location barrierefrei ist?“ Ich nickte nur stumm. Meine Freude war verpufft. Während Celina bei mir blieb, ging Tamara einen Ansprechpartner suchen und kam schließlich mit einem jungen Mann wieder. „Ich hatte gedacht, die paar Stufen könnte Sie einfach jemand hoch tragen. Innen sind wir auf jeden Fall barrierefrei“, erklärte er.

© Lenny Hahn 2024-09-01

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Adventurous, Emotional, Reflective