Brennpunkt Döllnsee

Heinz-Dieter Brandt

von Heinz-Dieter Brandt

Story

Um einem Gewitter zu entfliehen, fand ich den „Döllnkrug“ – 70 km nördlich von Berlin. Die Anreise über Zehdenick war für mich und mein Motorrad ein Ausflug in die deutsche Straßenbaugeschichte, aber man buhlte um Bikergäste.

Der Döllnkrug („dolan“: wendisch = Wasserloch) liegt in der Schorfheide und ist ein prachtvoll anzusehendes Hotel, das inmitten einer weitläufigen Parkanlage am Döllnsee mit einem üppigen Boots- und Saunahaus steht. Das Innere wirkt wie eine Mischung aus Reichsparteitag, Plattenbau und Alpenfolklore, aber gediegen, gemütlich und – trotz vieler Hirschgeweihe – bodenständig. Auffällig sind die vielen Skulpturen vor dem Hotel und im Park: Hirsche, Widder, germanische Frauen und Männer.

Die Straße endet vor dem Hotel wie in einem James-Bond-Film – durch ein Parktor mit Wärterhäuschen gelange ich hinein. Schnell wird mir klar, dass nur eine vergangene höhere Macht dieses Hotelzentrum inmitten eines Waldes hat bauen können.

Nazis? Sozis? Beide! Feudal-diktatorisch!

Kaiser Wilhelm II baute die Schorfheide zum kaiserlichen Pirschrevier aus. Er ließ seine Untertanen im Ersten Weltkrieg hungern, um das Wild zu füttern. Hierher kamen sie zum Jagen, Verhandeln, Entspannen: die Mächtigen, die seit dem 12. Jahrhundert hier jagten: brandenburgische Fürsten, preußische Könige, deutsche Kaiser, Demokraten der Weimarer Republik, braune Machthaber des Dritten Reiches, rote der DDR. Wenn ich hier absteige, folge ich den Spuren von Göring, wohne vielleicht im gleichen Zimmer wie Honecker oder Breschnew, trinke vom selben Barhocker wie Franz-Josef Strauß.

Von hier steuerte Göring den nationalsozialistischen Terror. Hier verkündete Ulbricht den Mauerbau. Hier bahnte sich in Männerrunden an, was draußen beschlossen wurde. Hier ging Honecker mit Chruschtschow und Breschnew auf Jagd, wurde Bundeskanzler Helmut Schmidt empfangen, kam es 1981 zur Annäherung beider deutscher Staaten.

Ich umrunde den Döllnsee zu Fuß – finde Carinhall.

Am Grab seiner ersten Frau, einer Schwedin, hielt Göring in Schweden eine Rede, worauf die Schweden protestierten. Für Göring war das Grabschändung. Er ließ seine Frau nach Carinhall umbetten. (Aus „Carin Göring“ und „Walhall“ wurde die „Himmelshalle Carinhall“ [Wikinger-Mythologie], in die Odin tapfer-gefallene Krieger aufnimmt). Hier sammelte er seine geraubten Gemälde, Skulpturen, Modellbahnen und echten Löwen und baute seiner Tochter Edda ein eigenes Schloss. Hier verschwor er sich mit den Achsenmächten (Hitler, Mussolini, Japan) gegen die Welt. Das Hotel war das Gästehaus.

1943 brachte Göring Teile seiner Sammlung nach Berchtesgaden und Altaussee in der Steiermark. Den Rest versenkten die Russen im See, bevor sie Carinhall sprengten. Das Grab von Carin Göring machten sie unkenntlich. Die Natur holte sich Carinhall zurück.

Und tief im Wald finde ich einen Gedenkstein: „Hier erlegte Erich Honecker am 8.11.1989 seinen letzten Hirsch“.

© Heinz-Dieter Brandt 2020-09-19

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