Bretterliebe

Silas von Bibra

von Silas von Bibra

Story

Sie betrachtete ihn vom Rand der Bühne hinter dem Vorhang. Der rote Samt neben ihr, die Holzdielen unter ihren Lederschuhen, der Geruch von trockenem Schweiß in den Balken über der Bühne auf die er wie in Zeitlupe hinaustrat; alles erinnerte sie an den Moment an dem sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte.Noch war der Vorhang geschlossen. Die Menge draußen unterhielt sich und wartete nur darauf dass der Vorhang aufgehen würde und sie ihn endlich sahen. Alle waren sie für ihn gekommen.Vor einer Stunde hatte sie ihn mit einem Kuss verabschiedet. Er hatte ein Before-Stage-Ritual wie er es nannte. Er schloss sich dann immer ein und antwortete nicht auf Klopfen, Telefonanrufe oder irgend etwas, das sich auch nur annähernd wie Kontakt nach außen anfühlte. Einmal hatte sie ihn gefragt was er denn so treibe, aber nicht viel aus ihm rausbekommen. Er druckste herum und war ein wenig peinlich berührt. Er war keiner dieser Rockstars die sich ihre Lieder schreiben ließen, deren Kunst nur die Performance war. Für Marc war das die bittersüße Wahrheit. Er war authentisch, konnte nicht spielen, musste über das singen, was ihn umtrieb. Er war die Personifizierung von Kunst, dachte sie.So schön wie die Aufmerksamkeit und das Künstlerleben waren, so war er doch ein Gequälter, ein Getriebener. Ein Hauch von Zigaretten kroch durch ihre Nüstern und sie schauderte. Sie liebte ihn.

Das Bier und die Zigaretten waren Teil ihres und seines Lebens und sie liebten es wie all die anderen kleinen Unperfektheiten.

Er stand dort auf der anderen Seite der Bühne und sah zu ihr hinüber. Sein Blick war ruhig und hatte etwas in sich das entweder stilles Glück oder Resignation war. Sie konnte das selten unterscheiden bei ihm. Einen Augenblick dachte sie, vielleicht könnte sie zu ihm hinübergehen aber bevor sie einen Entschluss gefasst hatte, ging der Vorhang auf und Licht viel auf die Bühne.

Die Menge begann zu klatschen und seinen Namen zu rufen. Sie wusste, dass es zu spät war und sie ihn für einige Stunden verlieren würde. Als sie von der Menge wieder zu ihm rüber sah, hatte er seinen Blick schon auf den Boden gerichtet und wippte langsam hin und her. Es war der Moment vor der Explosion den viele Künstler immer wieder beschrieben, für den sie lebten. Ein Schwall kaltes Wasser rann die Innenseite ihres Kopfes hinunter und sie wusste, dass er nicht mehr an sie dachte.Immer noch hinter dem Vorhang schlug er die erste Seite seiner Gitarre an. Der laute durchdringende Ton lag im Raum und schuf die Atmosphäre ehe er schon auf der Bühne war. Sein Gesicht wurde durch noch durch ein Notausgang Schild leicht beleuchtet. Sie sah wie er den Takt der nur in seinem Kopf existierte hörte. Kurze Konzentration. Einmal tief Luft geholt. Ein Lächeln. Echt und ehrlich. Ein Schritt ins Licht und der Wasserfall in ihrem Nacken wurde kalt.

© Silas von Bibra 2023-03-09

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