von LillyRuth
Es gibt sie. Diese magischen Momente. In denen alles Sinn ergibt. In denen man verliebt ist. Ins Leben. In die eigenen Kinder. In denen man von Dankbarkeit durchströmt wird. Nun darf ich gerade einen erleben. Ich wage es nicht, über seine Existenz laut zu sprechen. Aus Angst darüber, der Augenblick könnte bald wieder vorbei sein. Vorüber gehuscht wie ein flüchtiger Sonnenstrahl an einem kalten Nebeltag. Daher vertraue ich ihn nur diesem imaginärem Blatt Papier an. Ich liege auf der Couch im Wohnzimmer. Der anregende Duft von frischem Kaffee strömt mir in die Nase. Eine halboffene Wand von meinen Kindern getrennt. Sie hören, wie ich etwas in den Laptop tippe und glauben, ich arbeite.
Vertieft in eine gemeinsame Tätigkeit sitzen sie am Küchentisch und stechen Kekse aus einem Fertigteig aus. Gute 20 Minuten höre ich ihnen schon zu und kann mein Glück kaum fassen. Bruder und Schwester. Sieben und elf Jahre alt. Die meiste Zeit Streithanseln – nun in absoluter Harmonie vereint. Sie diskutieren über diverse Dinge. Meist geht es um eine Fernsehserie, die sie gern gemeinsam schauen. Das Niveau, auf dem sie sprechen, macht mich stolz. Der Kleine fragt die große Schwester nach ihrer Meinung. Sie hört ihm aufmerksam zu und teilt ihm dann ihre Sichtweise mit. Sogar eine Melodie haben sie schon gemeinsam gesummt. Nicht, weil sie jemandem etwas vorsingen mussten oder wollten. Nein. Einfach, weil sie gerade Lust darauf hatten. Weil sie Freude am Gleichklang der unterschiedlichen Töne, die ihren Mund verließen, hatten.
Ja, alles ergibt Sinn in solchen Momenten. Alles Schwere durfte sein. Musste vielleicht sogar sein, damit man das Gute erkennen darf. Und wieder kreisen meine Gedanken um die Polarität, die allem innewohnt. Licht und Schatten. Freude und Traurigkeit. Streit und Versöhnung. Verzweiflung und pures Glück.
Mama-Sein ist oft ein harter Job und gleichzeitig ein wunderschöner. Keine Aufgabe in meinem Leben kostete mich mehr Kraft. Keine war die Anstrengung mehr wert. Nie zweifelte ich mehr an mir und nie war ich innerlich sicherer, dass ich ihn im Grunde gut mache – diesen Job. Auf meine ganz eigene Weise.
In meinem Kopf hallen die Worte von Khalil Gibran: „Eure Kinder sind nicht eure Kinder. Sie sind die Söhne und die Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber. Sie kommen durch euch, aber nicht von euch. Und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht. Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken. Denn sie haben ihre eigenen Gedanken. Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben, aber nicht ihren Seelen. Denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen.“ Gänsehaut.
Mittlerweile liegt Lebkuchenduft in der Luft. „Magst du eine Kostprobe?“, fragt der Kleine. „Ja, gerne“, sage ich. Es sind die ersten Kekse, die sie ganz ohne mich gebacken haben und nie schmeckten sie besser.
© LillyRuth 2020-10-18