Wir stehen vor dem Schaufenster. Du drückst deine Nase an der Scheibe platt. Teddybären rutschen auf kleinen Holzschlitten über Berge aus Watteschnee. „Winterwunderland“, verkündet ein Schild, das an eine kleine Tanne gelehnt ist.„Den da, den mag ich am liebsten!“ Du stuppst mit den Fäustlingen gegen die Scheibe. Natürlich magst du ihn am liebsten. Er sieht aus wie der, den du deinem Papa ins Krankenhaus gebracht hast. Jeden Tag habt ihr mit dem Bären gespielt. „Hier ist Bruno Brumbär.“, hat er seine Stimme verstellt und die Bärennase gegen deine gehalten.
Bruno ist immer noch bei deinem Papa.Bruno wird immer bei deinem Papa sein.„Ob das Christkind mir Bruno zurückbringt?“, fragst du und ich weiß, was du eigentlich fragen willst. Ich schlucke. Streichle dir zitternd über den Kopf. „Ich weiß nicht, mein Schatz.“
Es ist unser erstes Weihnachten ohne Bruno. Letztes Jahr haben wir noch zusammen im Krankenhaus gefeiert. „Bruno wird mal Krankenschwester.“ , hat Papa verkündet. Bruno konnte nicht Krankenschwester werden. Dort, wo er jetzt ist, wird niemand krank.„Lass uns nach Hause gehen!“ Mir ist kalt. Der dicke Wintermantel hilft nicht, gegen die Kälte, die sich in mir ausbreitet. Seit Wochen kämpfe ich gegen sie an.„Ich will nicht weg!“ Du drückst die Nase wieder gegen die Schaufensterscheibe.„Ich auch nicht. Aber wir müssen los.“ Ich hebe dich hoch. Du schreist und trittst und weinst. Aber ich kann nicht länger stehen bleiben. Ich kann die Kälte nicht ertragen und nicht das Schild, auf dem „Winterwunderland“ steht. Dein Papa hat dir gesagt, dass Bruno ihm immer Weihnachtslieder vorsingt, wenn im Krankenhaus nur noch die Lichter der vielen Maschinen leuchten.Du weinst . Und ich weine auch. Heiße Tränen, die sich in meine Wangen einbrennen und dann abkühlen. Endlich zuhause. Du schläfst in meinen Armen ein. Ich lege dich in unser Bett. Du darfst auf Papas Seite schlafen. Du darfst jeden Tag auf Papas Seite schlafen. Ich sitze neben dir. Streiche dir über die Wangen und wische die Spuren der Tränen fort.Morgen ist Weihnachten. Morgen kommt das Christkind.Aber das Christkind kann dir nicht bringen, was du dir wirklich wünschst. Denn das Christkind kann nicht jeden Wunsch erfüllen. Es kann niemanden zum Leben erwecken.Ich wünschte sosehr, dass ich es könnte. Ich kann deinen Papa nicht aus dem Himmel holen.Ich küsse dich auf die Wange und klingele nebenan bei der Nachbarin. Ob sie eine halbe Stunde auf dich aufpassen kann?Ich ziehe meinen Mantel wieder an und laufe zum Kaufhaus.„Ich brauche Bruno!“ , erkläre ich einer Verkäuferin, sie versteht mich nicht. „Für mein Kind. Ich brauche Bruno.“ Ich zerre sie mit hinaus vor das Schaufenster, deute auf den Bären auf dem Schlitten.„Das geht nicht“ , sagt sie.Sie steigt trotzdem in das Schaufenster und holt den Bären.Als ich wieder nach Hause komme, schläfst du noch.Ich setze den Bären neben dich auf das Kissen.
„Bruno ist wieder da.“ , sage ich leise. „Bruno passt jetzt auf dich auf.“
© Julia Jansen-Meurer 2022-03-20