Buch oder E-Book?

Andrea Krist

von Andrea Krist

Story

Neuen technischen Erfindungen stehe ich skeptisch gegenüber. Aus gutem Grund. Ich erinnere mich an mein erstes E-Mail Mitte der 1990er Jahre.

Das laute „Pling“ ließ mich erschrocken auffahren und ängstlich hinter meinem Bürosessel verstecken. Ich kann bis heute nicht nachvollziehen, wie so ein E-Mail in den Computer und sogar in das Handy kommt.

Handy. Auch so eine Sache: Ich habe gelernt, dass ein Handy nicht zum Telefonieren, sondern zum Fotografieren und Musikhören da ist. Miteinander reden brauchen wir nicht mehr, dafür gibt es die Social-Media-Kanäle.

Kürzlich baten wir unseren pubertierenden 18jährigen in einem Face-to-Face-Gespräch, sich um den Hund zu kümmern und in einer Stunde mit ihm Gassi zu gehen. Nach eineinhalb Stunden erhielt ich eine WhatsApp-Nachricht mit dem Wortlaut: „Hund ins Zimmer gmacht. K.A. ? wegmachen. Gassi gehen hat sich erledigt. Hdl.”

Herumtoben kann ich in dem Moment nicht. Wir sitzen gerade mit unserem Besuch beim Kaffee und teilen unsere Sorgen über die Generation Y und Z. Daher begnüge ich mich mit einer kurzen WhatsApp-Antwort: “Hdal, BuMa”, Zwinkerbussi-Emoji.

Schließlich bin ich eine souveräne und coole Mutter, die über uringelbe Tropferl am Holzboden erhaben ist und die Sprache der Jugend spricht.

Lange Zeit erhaben fühlte ich mich auch über die Erfindung des E-Books. „Nie im Leben kommt mir so etwas ins Haus!“, wetterte ich. Ich liebe Bücher, am besten gebunden. Umso dicker, umso besser.

Gerne setzte ich mich dem abendlichen Gelächter des geliebten Göttergatten aus, wenn er mir zärtlich den Sechshundert-Seiten-Schmöker von der plattgedrückten Nase hob, das Nachtlicht ausschaltete und mir einen Gute-Nacht-Kuss gab. Woraufhin ich mich mit den brummelnden Worten „Ich hab ja nur kurz nachgedacht“, auf die Seite drehte und endgültig ins Land der Träume glitt.

Bis ich mir den Daumen brach. Schluss mit dem Halten von dicken Büchern. E-Book wurde mein neuer bester Freund, ständig an meiner Seite. Wie ungemein praktisch! Immer 1000 Bücher mit dabei. Und Nachtlicht integriert! Sehr hilfreich, wenn die Schlaflosigkeit mitten in der Nacht quält. Sogar die Buchstaben kann ich vergrößern! Sehr hilfreich in Anbetracht meiner beginnenden Kurzsichtigkeit. Weniger hilfreich ist die Förderung des Kurzzeitgedächtnisses.

Wohl habe ich tausend Bücher immer bei mir, mache mir aber mittlerweile ernsthaft Sorgen wegen möglicher Altersdemenz. Ich kann von keinem der gelesenen tausend Bücher über den Inhalt berichten!

Seit einiger Zeit gestehe ich mir wieder den einzigartigen Duft eines Buches zu, wenn ich es das erste Mal öffne. Ein Buch in der Hand halten, es riechen, die ungelesene Geschichte einatmen.

Mein Mann stellt sich nun wieder täglich der Aufgabe, mir das Buch aus den Fingern zu lösen und mir die neue Lesebrille behutsam von der Nase zu ziehen. Schön ist es, wenn ich mich dann nach dem Gute-Nacht-Kuss auf die Seite drehe mit den Worten „Ich hab ja nur kurz nachgedacht.“

© Andrea Krist 2023-02-21

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