von Irene Werren
Paul und Olivia“, das waren die ersten Worte, die ich gelernt habe zu lesen. Da war ich sieben Jahre alt und voller Stolz, die ersten aneinandergereihten Buchstaben lesen und verstehen zu können. Als ich neun Jahre alt war, fragte ich meine Mutter, ob sie mir erlauben würde, mit dem Bus nach Thun zu fahren und in der Jugend-Bibliothek Bücher auszuleihen. Meine Mutter reagierte zuerst erstaunt. Wahrscheinlich hat sie plötzlich realisiert, dass ihr Töchterchen größer und selbständiger wurde.
Sie willigte ein und hat mich die ersten Male begleitet. Der Bus hielt gleich bei der Bibliothek. Ich verbrachte dort Stunden, vertiefte, nein fraß mich durch die Bücher von Enid Blyton, Helen Dore Boylston’s „Susanne Barden“ und Federica de Cescos „roten Seidenschal“. Ich lieh mir unzählige Bücher aus und vergrub mich unter der Bettdecke mit Buch und Taschenlampe. Oft schimpfte meine Mutter mit mir, ich solle jetzt endlich schlafen, aber ich setzte mich meistens durch.
Auch heute ist Lesen aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken. Ich habe meistens ein Buch dabei oder lese unterwegs Zeitungen, und ich schreibe auch im Zug, so wie gerade jetzt.
Meine Mutter reinigte jeden Abend 22 Büroräume der Stadtverwaltung Thun, auch die riesige und umfassende Stadtbibliothek mit Büchern bis zurück ins 19. Jahrhundert gehörte zu ihrer Reinigungsrunde.
Meine Schwester und ich gingen jeweils am Abend mal mehr, mal weniger begeistert mit und leerten die Papierkörbe, stibitzen unbeobachtet Kekse aus einer Dose und schlüpften in die Plateauschuhe der Bibliothekarinnen. Oft stahl ich mich davon, schnappte mir einen Roman von Jens K. Holm“Detektiv Kim“ und las darin ein oder zwei Kapitel und vergaß dabei, dass ich eigentlich das WC reinigen sollte.
Später begann ich eine kaufmännische Lehre in einer renommierten Buchhandlung, und so kam ich in den Lesegenuss von günstigen Büchern.
Ich lernte auch den riesigen Unterschied zwischen Buchhaltung und Buchhandlung. Buchstabenkombinationen liebte ich, Zahlenkomplexe brachten mich zur Verzweiflung. Das ist bis heute so geblieben.
Welches sind deine Erinnerung an die ersten Leseschritte? Was oder wer hat dich geprägt?
© Irene Werren 2024-04-14