Bukowski auf dem Flokati

Beate-Luise

von Beate-Luise

Story

Vor 50 Jahren zog meine Mutter mit mir, damals fünfjährig, in eine Zweieinhalb-Zimmerwohnung im Zentrum einer Provinzstadt. Sie wohnt trotz ihrer Demenz noch heute darin. Die langjährige Gewohnheit verschafft ihr Sicherheit, an die sie sich klammert. Mein Kinderzimmer war zuerst das halbe, dessen Wand lange ein Foto von Costa Cordalis schmückte. Darüber habe ich hier auf Story.one meine erste Geschichte geschrieben. Als ich in die Pubertät kam, tauschte meine Mutter mit mir ihr Zimmer und ich bekam das größere.

In den Jahren vor meinem Abitur hatte ich einen großen, weit verzweigten Freundeskreis. Dazu gehörten neben Schulkameraden und Basketballleuten auch zwei Cliquen: die eine intellektuell und musikaffin; die andere bestand vornehmlich aus hemdsärmeligen Motorradschraubern. Unsere zentral gelegene Mietwohnung brachte es mit sich, dass ständig irgendwer spontan reinschneite, an manchen Tagen wurde es regelrecht voll in meinem Zimmer. Manchmal ergaben sich dann stundenlange Happenings mit Musik, Diskussionen, Tee und selbstgedrehten Zigaretten. Eigentlich waren ab Nachmittag immer Leute bei mir, was ich genoss.

Es war ein Treffpunkt, der auch insofern interessant war, als meine Mutter – geschieden und voll berufstätig – bis abends arbeitete. Natürlich machte genau diese Tatsache die Besuche bei mir zu einem Reizthema für andere Eltern. Denn etliche meiner Freund:innen stammten aus gutbürgerlichen und „geordneten“ Verhältnissen. Umso lieber kamen alle zu mir, wo es eben anders war als bei denen zu Hause. Unkontrolliert, daher freier. Die Schule spielte, gebe ich zu, bei mir eine eher untergeordnete Rolle, deutliche Prio hatte mein Sozialleben.

Bei einem Abitreffen vor 10 oder 15 Jahren sah ich Frank (Französisch-Leistungskurs) erstmals wieder und unterhielt mich länger mit ihm. Danach blieben wir noch eine Weile in schriftlichem Kontakt. Er erinnerte sich an einen Nachmittag, als er und Christoph, die beide aus demselben Dorf im Umland kamen, mich eines Nachmittags besuchten: „Chrischi und ich saßen in deinem Zimmer auf dem Flokati, während du uns Charles Bukowski vorgelesen hast. Das war außergewöhnlich. Sowas hatten wir beide noch nie gelesen, geschweige denn vorgelesen bekommen. Zumal von einem Mädchen – wir waren echt komplett aus dem Häuschen!“

Dieses Ereignis war mir völlig entfallen. Die Erzählungen Bukowskis dagegen nicht. Es waren Geschichten von unten – in mehrfacher Hinsicht, auch in sexueller. Oh Mann, was hatte mich bloß dazu gebracht, den Jungs DAS vorzulesen? Das Buch war durch den Freund meiner Mutter bei mir gelandet. Auch er las viel und wir sprachen manchmal über Bücher.

Dass Frank sich nach so vielen Jahren noch so beeindruckt über diesen Besuch bei mir äußerte, war mir im ersten Moment peinlich. Nach einigem Nachdenken fand ich seine Schilderung der Bukowski-Lesung auf meinem Flokati-Teppich aber ziemlich lustig und irgendwie auch originell.

© Beate-Luise 2020-08-25

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