von Mary Modl
âLass dir den Dreck rausoperieren und den bedenklichen Rest amputieren! Du hast ja sowieso kaum was MĂŒtterliches an dir!â Isis Tante Herta war mir aufgrund der zahlreichen lebensnahen Schilderungen ihrer Nichte erstens als verbal skrupellos bekannt und zweitens hochgradig unsympathisch. Diese Aussage jedoch toppte alles bisher mehr oder weniger hirnlos Rausgeschleuderte.
Vorgeschichte âŠ
Meine jugendlich-jungspundige Freundin Isi hat es nicht so einfach. Erst vor kurzem â mehr oder weniger als Highlight des dritten Corona-Lockdowns â bekam sie die positive Nachricht, gute 18 Jahre ihres dreiĂigjĂ€hrigen Lebens als bipolar gestört verkannt worden zu sein. Schön brav war sie ab ihrem zwölften Lebensjahr â quasi, seit die angebliche bipolare Störung vom Spezialisten der Spezialisten diagnostiziert worden war â in Behandlung gewesen. GesprĂ€chstherapien, medikamentöse Einstellungen, weitergereicht vom einen Spezi zum anderen Spezialisten, das Ausnahmekind ⊠wobei âAusnahmeâ in diesem Sinne eher negativ konnotiert war.
In Beziehungsfragen blieb Isi allerdings ein bisschen auf der Strecke. Zu lange hatte sie geglaubt, sich niemandem antun zu können mit dem âRucksackâ, den sie in eine etwaig funktionieren könnende Verbindung mitbringen wĂŒrde. Ihr Selbstwert war gleich null.
Umso mehr pushte sie die erfreuliche Nachricht, es und sie seien nicht so, wie alles angeblich wĂ€re. Ich erlebte kurz darauf eine skyrocking VerĂ€nderung ihrer Selbstwahrnehmung. Die ĂŒberschĂŒssigen Kilos purzelten in doppelten Zehnerstellen bis zum Sommer. Der mit Isi assoziierte Schlabberlook in Ăberweite wich einem Hautenglook mit Betonung der Curves und das Haar war regelmĂ€Ăig shampooniert und modisch fassioniert.
Und dies alles aufgrund des ersten Tinder-Profils ihres Lebens. Sie lebte sich die ersten Wochen gleich mal Tinder-Ă -la-carte aus. Nun war sie eine active Playerin am groĂen erotischen Feld scheinromantischer ĂberflĂŒssigkeiten. Das Entdecktwerden gefiel ihr. Das Begehrtsein genoss sie. Mit dem Abgelegtwerden haderte sie. Gerne wĂ€re sie auch einmal aufgewacht und kuschelnd weiter neben ihm liegengebliebenâŠ
Ende August blieb ein Tinder-Date lĂ€nger als ĂŒblich; dieses meldete sich wieder ⊠öfters sogar; es bekam einen Namen ⊠Samuel; Sam, dem es gelang, sich in Isis Herz einzunisten. Ich empfand sie so glĂŒcklich wie nie zuvor.
Doch dann meldete sich der rechte Eierstock unangenehm. Wenige Tage spĂ€ter war er raus ⊠mitsamt seinem Begleiter dem neuneinhalb Zentimeter groĂen Tumor; ganz unartig bösartig; cancer at its best quasi. O-Ton Isi als sie mir dies mitteilte âIch schwörâs dir, Mary, das Schicksal spielt mit mir Bullshit-Bingoâ. Kurz darauf nochmals operiert, war der Histo-Befund gnĂ€dig mit ihr ⊠der Tumor hat nicht gestreut ⊠keine Chemo!
Sam war die ganze Zeit an ihrer Seite; und ist es noch immer. Verwandte kann man sich nicht aussuchen, aber Herzmenschen sehr wohl. Die gibtâs auch auf Tinder!
© Mary Modl 2021-10-26