Bullshitbingo

Simona_Hartmann

von Simona_Hartmann

Story

Interview mit einer Journalistin aus dem Gesundheitswesen

„Vermutlich kennen Sie das auch: Viele Krebspatienten erhalten von ihrer Umgebung Ratschläge sowie unbedachte Kommentare. Mögen Sie uns aus Ihrem persönlichen Bullshitbingo ein Beispiel nennen?“ – „ Ja, zum Beispiel: ‚Meine Kusine, die hatte auch Krebs und die hat dann …‘. Weder hilft mir das, noch interessiert es mich. Oder: ‚Krebs ist auch eine Chance‘, was eine Sichtweise im Nachhinein sein mag, sich für mich aber in meinen schwarzen Momenten wie eine Ohrfeige anfühlte.

Die schwierigste Bemerkung war für mich: ‚Na ja, aber du kriegst doch eine neue.‘ Der Verlust meiner Brust war für mich lange Zeit der größte Kummer. Ich war darüber so unendlich traurig, dass ich das kaum in Worte fassen kann.“ – „Wie haben Sie reagiert?“ – „Was ich nach außen gesagt habe, erinnere ich nicht genau. Irgendetwas mit „Ja, aber …“. Mein Inneres hat sich aufgebäumt und laut geschrien: Ich bin so abgrundtief traurig darüber. Bitte sieh mich und hör mich. Und lass mich darüber weinen. Und an das Verlorenheitsgefühl erinnere ich mich.“ – „Haben Sie noch ein anderes Beispiel für Bemerkungen, die an Ihrer Bedürfnislage vorbeigehen?“ – „Ja. Welche Seite ist bei Ihnen betroffen? Die linke? Dann liegt meist ein Konflikt mit der Mutter vor.“ – „Oh!“ „Ja, genau, „Oh“ trifft es ganz gut. Angenommen ich habe tatsächlich ein Problem mit meiner Mutter, was ist dann? Schmerzt es mich dann weniger? Mehr? Wenn ich kein Problem mit meiner Mutter habe, habe ich dann Krebs auf der falschen Seite? Wenn die rechte Brust betroffen ist, habe ich dann ein Problem mit meinem Vater? Oder mit Geld? Oder mit dem Hausmeister? Meine Freundin hat rechts Brustkrebs und hat ein großes Problem mit ihrer Mutter. Eine andere Freundin hat links Brustkrebs und hat eine wunderbare Beziehung mit ihrer Mutter. Eine weitere Freundin hat eine sehr schwierige Beziehung zu ihrer Mutter und zwei gesunde Brüste. Meine Frage wäre: Warum sagst du mir das? Soll es mir helfen? Das tut es gar nicht, ichfühle mich dann noch verlorener. Hand aufs Herz: Steht am Ende deine eigene Hilflosigkeit dahinter?“ –

„Welche Bemerkungen sind angenehm für Sie?“ – „Meine liebste Frage war immer: Wie geht es dir?, verbunden mit einem offenen Ohr. Viele Krebspatienten mögen genau diese Frage nicht. Ich mochte sie. Oder: ‚Wirklich nachfühlen kann ich das nicht, aber ich sehe deine Verzweiflung und höre dir zu.‘ Oder: ‚Ich habe eine Suppe gekocht. Ich würde sie dir nachher vorbeibringen, magst du?‘ Oder auch gar keine Worte, und einfach neben mir auf der Bank sitzen.“ – „Was wäre Ihr Schlusswort zu diesem Thema?“ – „Es gibt im Grunde nicht die richtige Bemerkung. Wir sind so durch den Wind, wenn wir durch diese Zeit gehen. Unsere Bedürfnisse und Gefühle wirbeln wild durcheinander. Wir verstehen uns ja selber oft nicht. Lasst einfach euer Herz sprechen. Das ist immer richtig. Und vor allem: Immer erst mal atmen.“ – „Vielen Dank für das Gespräch.“

© Simona_Hartmann 2022-12-23

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