Burma vor dem Massaker

Gunny Catell

von Gunny Catell

Story

Als ich am 15. Mai 1986 nachts erstmals in Rangoon landete, schien die Zeit ins Mittelalter zurückgeschraubt zu sein. Burma war damals das geheimnisvollste Land der Welt und von der Außenwelt völlig abgeschnitten. Es herrschte 45 Grad Hitze und nicht mal eine Cola gab es im ganzen Land. Aber mein Wirt hatte noch 2 Dosen versteckt. Er gab sie mir zu einem horrenden Preis.

Am Morgen sah ich zwischen den Holzhütten schimmernde Pagoden in den Himmel ragen. In der Ferne leuchtete die riesige, goldene Shwedagon Pagode. Ich ging auf sie zu wie in Trance und als ich die vielen Stufen emporstieg, kam es mir wie der Aufstieg in das Himmelreich vor. Dieser Stupa bewirkte wahrscheinlich, dass ich Gold ab nun als die Farbe betrachtete, mit der ich mein Innerstes am ehesten identifizierte – eine mystische Offenbarung, die frühere Völker immer mit dem Göttlichen und der Sonne in Verbindung gebracht haben.

Ich verweilte auf dem blitzblank geputzten Marmorboden, der die Pagode umgab und sinnierte vor mich hin, um Buddha nahe zu sein. Da sprach mich ein freundlich lächelnder Mönch an. Wir unterhielten uns lange über unser Leben und er lud mich zu seiner Familie nach Hause und in sein Monastery ein.

Als ich dachte, ich dürfe mich doch beim Duschen vor den Augen der zusehenden Nachbarn im gläubigen Burma nicht nackt zeigen, kicherten alle Anwesenden nur und fanden es überhaupt nicht anstößig, einen nackten Europäer zu sehen. Hier hatte ich nie das Gefühl, von diesen sanften Menschen etwas Negatives oder Unfreundliches fürchten zu müssen.

In diesem von kapitalistischen Einflüssen so unberührten Land zählten die inneren Werte mehr als die äußeren. Als Dank für die erwiesene Gastfreundschaft bot ich einem seiner Buddha-Schüler an, mit mir durch Burma zu reisen. Ich wollte ihm sogar die ganze Reise bezahlen. Ich hätte mich so geehrt gefühlt, mit ihm wie mit einem „Bruder“ zu leben. Doch sein Mönchslehrer konnte dieses Angebot nicht annehmen. Ich war sehr traurig. Der Abschied von meinen burmesischen Mönchen fiel mir schwer.

Mit dem Zug fuhr ich nach Pagan und den schlanken Pagoden aus der Vergangenheit, die wie Fata Morganas in der Wüste standen. Als ich auf die höchste stieg, sah ich in der Ferne einen Sandsturm aufkommen. Burma war deshalb so besonders, da hier der Buddhismus in seiner reinsten und schönsten Form in Erscheinung trat. Es war einfach ein Traum durch dieses arme, heiße, aber so liebenswürdige Land zu reisen. Es erschien mir als das schönste Land der Welt – mein Lieblingsland.

Ich fühlte mich bei diesen Menschen auch so verstanden, dass ich dachte, bei ihnen könne man einfach nichts falsch machen. Sie hatten so viel Humor. Wo hatte ich das jemals in Österreich erlebt?

Im Nachhinein frage ich mich oft, ob meine Freunde die blutige Militärrevolte 2 Jahre später 1988 überlebt hatten. Viele Mönche starben damals für ihren Widerstand gegen die Gewalt.

Immer noch sehe ich das Bild des Vaters in mir, wie er seine Kinder auf dem Boot am Fluss streichelt.

© Gunny Catell 2021-03-02

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