von Christine Amon
„Morgen muss ich einrücken“, sagte sie traurig zu Nachbarin Eva und zerdrückte ein paar Tränchen. „Aber Mina, Sie schauen sich das Heim ja nur an, Sie müssen ja nicht bleiben!“, beruhigte Eva die alte Frau.
Mina, die alleinstehende Frau mit der Hasenscharte, war als Kind in unsere Siedlung gekommen. Die Pflegemutter war streng, aber endlich durfte sie wenigstens bleiben!
Nach dem Tod der Pflegemutter „erbte“ Mina neben dem Haus auch eines ihrer Pflegegeschwister als eigenes Pflegekind, Edith mit Down-Syndrom. Nach dem Tod von Edith lebte Mina ganz alleine in dem kleinen Haus in unserer Straße. Ihre ganze Liebe galt dem Gemüsegarten und dem kleinem Acker hinter dem Haus.
Als Mina schon über achtzig war, klagte sie über Rückenschmerzen. Der Arzt verschrieb ihr Salben. Nachdem Mina niemand hatte, bot ich ihr an, täglich den Rücken einzucremen.
Eines Tages, während ich Mina mit ihrer Salbe einrieb, ließ ich meinen Blick durch Minas Küche schweifen. „Mina – du trinkst doch nicht etwa Red Bull!“, fragte ich streng. Mina merkte gleich, dass ich das nicht wirklich guthieß und sie meinte beschwichtigend: „Nur, wenn ich recht matt bin, und dann auch nur einen kleinen Schluck!“. Sie zeigte mir auch ihre Tabletten, ich glaube, sieben Stück waren es. „Die nehme ich aber nicht alle“, meinte sie treuherzig.
Das tägliche Leben gestaltete sich immer schwieriger. Mina war Zeit ihres Lebens mit dem Fahrrad zum Einkaufen gefahren. Nun schob sie das Fahrrad und hielt sich daran fest. Warum sie allerdings so viel kaufte, war uns allen ein Rätsel. Sie hatte vermutlich längst den Überblick über ihre Vorräte verloren.
Immer wieder wurde sie von aufmerksamen Dorfbewohnern nach Hause gebracht. Das Leben am Lande hat ja mitunter nicht so schöne Seiten – mit Tratsch und Klatsch zu leben ist nicht jedermanns Sache – aber eine alte Frau mit Schwächeanfall lässt man nicht einfach so am Gehsteig stehen!
Als Mina schließlich Rechnungen nicht mehr bezahlte (wir machten sogar Bekanntschaft mit dem Gerichtsvollzieher!) kontaktierten wir Nachbarn eine Nichte von Mina, die sich nun um die finanziellen Angelegenheiten kümmerte und einen Pflegedienst beauftragte.
Von einem Heim wollte Mina allerdings gar nichts hören!
Eines Tages kam Mina völlig aufgelöst zu uns, mit der Gemeindezeitung in der Hand: „Ich zahle immer brav meine Steuern – aber der Bürgermeister hat mir nicht zum Neunziger gratuliert!“. Ganz empört war sie! „Aber Mina, du wirst doch erst nächstes Jahr 90! Und da wirst du sicherlich von der Gemeinde eingeladen!“, sagte mein Mann.
Eines Tages war es dann doch so weit, dass Mina ins Heim musste. Das kam so: sie stürzte, und nachdem die Blutung nicht zu stoppen war, kam sie ins Spital. Von dort kam sie in die Übergangspflege und später bekam sie einen Platz im Heim. Ihren 90. Geburtstag feierte sie im Heim und ich glaube, auch der Bürgermeister ist gekommen.
Im Jänner 2019 starb Mina im 91. Lebensjahr nach einem langen, arbeitsreichen Leben.
© Christine Amon 2019-09-29