von MISERANDVS
“Du bist wie Alkohol.”, sagt sie, die schöne Stimme aus dem Fernsprechflatoiden. Ich bin versucht, zu lachen. Allein, ich fühle, wie sie reflektiert und ein wenig schweigend spürt, ob das auch richtig ist. Drum lasse ich das mit dem Lachen vorerst sein und halt die Klappe. Dann sagt sie: “Hm. Ja. Genau. Du bist wie Alkohol.” Ok. Jetzt darf ich aber lachen. Und wie ich Atem hole zu einem veritablen Schallanschwellen, da sagt sie leise: “Mit dir zu sprechen, ist ein bisschen wie betrunken sein. So frei. So unbefangen. Wenn man sehr sinnvoll spricht und sich Gedanken frei entfalten.” Und wieder macht sie eine Pause. “Ja, mit dir ist’s wie betrunken sein. Und ich genieß‘ das sehr.” Ich atme stimmvoll aus, und meine Innenstimme brüllt zur Warnung: “Das dumme Arschloch, das jetzt lacht…! Gnade ihm Gott!”
Geräusche machte ich, so sagt sie, und ich protestiere heftig. “Was soll das?!”, frage ich pikiert, weil ich leise bin und wohlerzogen; ich spreche oder halt die Klappe. Dazwischen gibt es nichts laut Knigge, und so sage ich: “Ich mach doch keine…”, doch sie unterbricht mich – einfach so – weil sie noch in Gedanken ist: “Dein tiefsonores ‘Mmmh’. Ach, ich genieße es. Es ist ganz sanft und doch so intensiv.” Ich grüble angestrengt. Wann hab ich denn zuletzt ein ‘Mmmh’ von mir gegeben? Der Krieg war ‘45 aus, und ’89 fiel die Mauer… Das muss wohl kurz danach gewesen sein.
Und während ich noch überlege, wie sie das mitbekommen haben kann, mein letztes ‚Mmmh‘, wo wir uns doch grad ein paar Tage sprechen, da malt sie wortesanft für sich und mich, was sie empfindet, was sie spürt, wenn wir uns unterhalten. Sie spricht von Farben, spricht von Räumen, sie spricht von Wegen, die wir geh’n zusammen, von weiten Welten aus Gedanken, die wir gemeinsam denken und entfalten miteinander, von einer Unbefangenheit, die sie genießt. Ich lausche aufmerksam der schönen Stimme, genieße Worte, die sie aus dem Ärmel schüttelt und mit ganz sanften Fingern auf mich streicht und sanft verreibt auf meiner Tränenseele.
Und wie ich lausche und genieße, wie sie mich Worte-Bettler, der ich bin, mich, sturzbetrunkenen Clochard, mit linden Worten aus den Stotterlumpen pellt und mich in schöne, neue Kleider steckt, aus denen Silbenduft entströmt, den Zottelbart mir lippenblubbernd stutzt und mir die Federn sanftwortschmeichelnd kämmt, da macht sie mich zum Prinzen, und ich mach‘ leis genüsslich mit geschloss’nen Augen “Mmmh.”
“Zurück zum Thema!”, sag ich gleich darauf, als ich zu spüren meine, wie ich – von ihren Worten und der schönen Stimme leicht illuminiert – ins Wanken komme, nüchtern: “Als wenn ich stimmenbrummlich ‘Mmmh’ sagen würde! Das klingt nicht mal nach mir.“ Und sie sagt: ”Hach, wie schön. Da war es wieder…“ „Was war da wieder?, raune ich. Und sie beginnt zu lachen.
So bin ich also Alkohol. Wie Stund‘ um Stund‘ vergeht im Plaudern, hält sie ihr leeres Glas mit einem Lächeln her. Ich schenk ihr nach von mir; sie nippt genüsslich. In ihrer Stimme flackert Kerzenschein.
© MISERANDVS 2021-11-28