Der Film wurde in British Columbia, Canada gedreht. Karl und ich mussten ihn sehen. Es war Faszination pur und unser Auswanderungsziel rückte ein Stück näher. Nach der Vorstellung wollten wir darüber reden, doch mir war plötzlich nicht mehr danach. Karl maulte: „Sei kein Spielverderber, Ferdinand, was hast du denn?”
„Ich habe Magenkrämpfe, keine Ahnung was das ist”, sagte ich und schleppte mich nach Hause. Die Schmerzen wurden heftiger. Ein Gefühl, als ob ich innerlich verbrennen würde. Ich biss mir die Lippen wund, lehnte mich an die Hauswand. Der alte Fiala ging vorbei und schimpfte, weil er meinte, dass ich betrunken sei. Meine Knie zitterten, aber irgendwie schaffte ich es bis zu unserem Haus. Mama öffnete die Tür und erschrak: „Mein Gott, Bua, was ist passiert? Du bist ja kreidebleich!“ Ich flehte sie an: „Die Tropfen, Mama, bitte gib mir die Magentropfen!“ Es zog mich zusammen. Den Kopf zwischen den Knien brüllte ich meinen Schmerz in den Küchenboden. Meine Mutter stand daneben und wusste nicht, was sie tun soll. Dann sagte sie: „Halte durch Ferdinand, ich rufe den Doktor – oder besser gleich die Rettung!“ Mir war alles recht, wenn nur dieser Schmerz aufhören würde. Irgendwann kam der Rettungswagen. Später sah ich nur noch Milchglasscheiben und grelles Licht – Krankenhaus. Mir war kalt. Ein Arzt gab mir eine Spritze, ein anderer tastete mich ab, eine Schwester fragte mich nach Namen und Alter. „Ferdinand, ich bin fünfzehn”, presste ich heraus. Die Ärzte sprachen leise, sie vermuteten, dass es der Blinddarm sei. Die nächste Schmerzwelle durchzog meinen Körper. Aus Angst vergaß ich zu atmen, wusste nicht mehr, was ich tun soll. Ein Doktor redete leise auf mich ein: „Ganz langsam, Ferdinand. Versuche tief Luft zu holen. Ja, so ist es gut. Wo tut’s am meisten weh?“
„Überall”, sagte ich. Dann wurde es finster.
Ich hörte Stimmen, aber ich sah niemanden. Alles ist weiß, dachte ich. Ich lag in einer Art Zelt, das nach oben hin spitz zulief. Über mir baumelten Infusionsflaschen. Ich schaute den Tropfen beim Wachsen zu, sah, wie sie dicker wurden und in den Schlauch fielen, der irgendwo in meinem Arm mündete. Ich hing wie eine Marionette an dicken Fäden. Überall waren Kabel und Schläuche, neben mir zischte ein Sauerstoffgerät. Ich wollte reden, mich selbst hören, brachte aber keinen Ton heraus. Bin ich etwa im Himmel? Nein, das kann nicht sein! Mein Herrgott würde es niemals zulassen, dass ich so fürchterlichen Durst leide. Mein Blick wurde langsam klarer. Vor dem Fenster stand ein fast kahler Ahornbaum. Ich zählte zwölf bunte Blättern, die im Wind wippten. Ich fantasierte von Canada und Indian Summer. Später erfuhr ich, dass es gar nicht der Blinddarm war, sondern ein Magendurchbruch. Zwei-Drittel-Resektion nach Billroth II, so der exakte Terminus. Zwei komplizierte Operationen hatten meine ganze Kraft gekostet. Der Traum von Canada war in weite Ferne gerückt. Auch der Ahornbaum hatte seine Blätter verloren.
© Ferdinand F. Planegger 2020-05-22