von Lena Schneider
Egal wie stressig der Alltag wird, Sonntage sind immer für meinen Hund reserviert. Von Montag bis Freitag arbeite ich jede Woche von morgens bis abends, an Samstagen gehe ich einkaufen und erledige alle Hausarbeiten, also bleiben für meinen Hund, Charlie, nur noch die Sonntage. Diese kosten wir beide aber jede Woche aufs Neue voll aus. Meistens unternehmen wir Ausflüge in den Wald oder einen nahegelegenen Park, fahren den ganzen Tag mit dem Fahrrad umher oder laufen einfach nebeneinanderher. Mein Hund ist mein bester Freund. Ich habe Charlie bekommen, als ich 16 war und seitdem haben wir uns nie getrennt. Als ich die Stadt verlassen habe, in der ich aufgewachsen bin, um zu studieren, ist er selbstverständlich mitgekommen.
Heute scheint die Sonne. Ein Ausflug in den Wald ist ideal. Die meisten Menschen gehen ins Schwimmbad oder in den Park, die wenigsten entscheiden sich in den Wald zu gehen. Ich bereite mich für unseren Ausflug vor und höre dabei, wie an jedem anderen Morgen, meinen Lieblingsradiosender. Um Punkt 8:30 Uhr kommt der Nachrichtenteil des Radiosenders und der Sprecher erzählt etwas über eine neue Studie, in der die Intelligenz eines Menschen abhängig von seiner Körpergröße sein soll. Ich trinke meinen Kaffee aus und schaue Charlie an, der, seit wir aufgestanden sind, den ganzen Morgen schon vor der Tür steht und aufgeregt wartet, dass ich endlich fertig werde. Der Sprecher des Radiosenders erzählt irgendwas über die zunehmende Armut in Deutschland und berichtet über ein kleines Mädchen, welches seit 2 Tagen vermisst wird. Charlie bellt mich an. „Ist ja gut. Ich beeile mich ja schon.“ Ich lege meine Tasse auf den Küchentisch, schnappe mir meinen Rucksack und öffne die Tür. Charlie sprintet sofort aus der Wohnungstür.
Im Wald ist es tatsächlich um einiges kühler als in der Stadt. Ich werfe einige Male Charlie einen Stock zu, damit er diesen jagen kann. Normalerweise jagt er gerne Stöcke und bringt mir diese zurück, damit ich sie wieder werfen konnte. Heute wirkt Charlie jedoch sehr abgelenkt. Er schaut immerzu in eine Richtung, die tief in den Wald hineinführt. Selbst wenn ich ihn rufe, reagiert er nicht. Plötzlich sprintet Charlie los. Ich realisiere zunächst gar nicht was eigentlich passiert. Erst als mein Hund hinter den Bäumen verschwindet und meine Rufe sich als zwecklos offenbaren, renne ich ebenfalls in die Richtung. Ich rufe ihn immer wieder, jedoch anstelle mir entgegenzulaufen, höre ich lediglich sein Bellen, welches gefühlt aus allen Richtungen schallt. Minutenlang irre ich durch den Wald auf der Suche nach meinem Hund. „Hilfe!“ Das war die Stimme eines kleinen Mädchens. Ich renne so schnell ich kann in die Richtung, aus der die Hilfeschreie kommen. Tatsächlich. Ein kleines Mädchen lag auf dem Waldboden, neben ihr saß Charlie. Das Mädchen hat eine große Wunde am linken Bein und kann offenbar nicht mehr selbstständig aufstehen. Ich hebe sie hoch und trage sie zum Waldweg zurück. Dort rufe ich die Polizei. Es hat sich herausgestellt, dass das Mädchen die 4-Jährige war, welche seit Tagen gesucht wurde. Sie hat sich beim Spielen mit Freunden verirrt und als es dunkel wurde, ist sie ausgerutscht und hat sich an einem Ast verletzt. Charlie hat ihr wahrscheinlich das Leben gerettet.
© Lena Schneider 2023-05-25