Chefsache Adiós!

Claudia Schubert

von Claudia Schubert

Story

Jedes Mal, wenn sich die langen Schatten seiner weißen Turnschuhe meinem Schreibtisch näherten, stockte mein Atem. Er liebte es, sich wie Kaugummi links neben mir am Boden festzukleben, um mit mir kurz vor Feierabend ausgiebig neue Verkaufsstrategien zu besprechen. Ich hasste sein Aftershave.

Optisch gesehen war er eine Kreuzung aus Louis de Funès und meiner ganz eigenen Vorstellung von Lars vom Mars. Auf dem Betriebsorganigramm klebte sein Name zwar in der zweiten Reihe, aber so richtig wahr nahm ihn niemand. Er hatte immer das dringende Bedürfnis, gebauchmiezelt zu werden. Ich tat das wohl ganz gut, und deshalb schlug er so gerne seine Turnschuhwurzeln neben mir.

Die Freude bei ihm war groß, als wir gemeinsam für eine Woche in Barcelona den Messestand unserer Firma übernehmen sollten. In Gedenken an unsere letzte Dienstreise in die Schweiz schwante mir Schreckliches. Es war ja schon ein Wunder, dass wir dort überhaupt ankamen. Aber schlimmer geht ja bekanntlich immer.

Laut Stadtplan lag unsere Unterkunft nur einen kurzen Fußmarsch vom Shuttlebusstop entfernt. Nach 3 km durch stickigen Stadtverkehr schlürften ich und seine qualmenden Turnschuhe zerknautscht ins Hotel. Dort war alles schwarz, wohl eine Trendsache. Dementsprechend die Laune unter aller Sau.

In den Folgetagen konzentrierten wir uns auf unsere berufliche Mission: Neukunden angeln, unbeobachtet die Konkurrenz ausspionieren, uns unter Neonlicht die Beine in den Bauch stehen, lächeln.

Und bei einem Geschäftsessen bei Tapas und Wein sollte vor allem ich unserem größten spanischen Importeur, der europaweit umsatzstärksten Kaufhauskette, Honig um den Mund schmieren. Bauchmiezeln konnte ich ja.

Um weitere endlose Spaziergänge zu vermeiden, entschieden wir uns an jenem Abend für die Metro, welche uns bequem vor dem Restaurant ausspucken sollte. Geschwind stieg ich in den erstbesten Wagon ein, er meinem Schatten verfolgend. Noch stand er zwischen Tür und Angel, als sich die düsteren Klischees von spanischen Großstädten bewahrheiteten und lange Finger die seinige Gesäßtasche ihres Inhaltes entleerten. Im Bruchteil einer Sekunde waren alle weg: Diebe weg. Mäuse weg. Chef weg.

Ich konnte gar nicht so schnell denken wie er losstürmte. Vor mir sah ich nur noch Staubwolken und ein riesiges Paar weißer Turnschuhe, wie sie die Rolltreppe in Gegenrichtung nach oben hechteten. Mit ungeahnten Superkräften schwang sich mein 1,70er Chef dort über die gefühlt ebenso hohe Schranke. Reflexartig sprang ich aus der anfahrenden Bahn, kam aber vor Lachen gar nicht hinterher. Als ich ihn einholte, war seine Identität zusammen mit unseren Rückflugstickets bereits hinter den Bergen von Montserrat verschwunden.

Auf der Polizeistation klebte er wie ein lascher Kaugummi zerknittert neben mir auf dem Sitz. Ich suchte mein letztes Kleingeld zusammen und spendierte ihm eine Cola. Er musste gebauchmiezelt werden, und hatte es an jenem Abend durchaus verdient.

© Claudia Schubert 2021-04-02

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