von Marie Naumann
„Chilis zum Frühstück“ ist eine spannende und berührende, autobiografische Geschichte einer jungen Erzieherin, die versucht einen suizidalen, jungen Mann vom bunten Leben zu überzeugen. Zwei Jahre nach ihrem Umzug meldet Marie sich bei ihrem ehemaligen Bezugsjugendlichen Tim und beide beginnen sich Nachrichten zu schreiben. Er erzählt ihr Geschichten aus seiner Kindheit und Jugend und erklärt ihr detailliert und überzeugend, weshalb für ihn das Leben nicht mehr lebenswert ist. Von unzähligen Versuchen sich zu töten, Psychiatrieaufenthalten und von seinem Suizidpartner, den er im Internet kennengelernt hatte. Zusammen analysieren sie Ursachen, decken Verhaltensmuster auf und dröseln die unterschiedlichsten Persönlichkeitsfacetten auf. Daraus entwickelt sich, ganz nebenbei, eine sehr spezielle Freundschaft. Marie wird Tims Begleiterin auf allen Wegen, bis zum Ende.
Für mich war es furchtbar zuzusehen, wie ein so junger Mensch sich so kaputt machte, auch wenn ich die Gründe dafür kannte und sogar Verständnis für seine Entscheidung hatte. In mir war ein Schlachtfeld. Argumente tosten über das Feld hin und her. Wie gewaltige Lawinen rauschte es durch meinen Körper. Vom Kopf ins Herz, zum Bauch und wieder zurück. Ich weinte. Es war ein harter Kampf. Man muss gegen seine eigenen Wünsche und Hoffnungen ankämpfen, das Weltbild und alle angelernten Normen überwinden, man muss aufhören, an sich oder Andere zu denken. Gesetze, Gesellschaft, Systeme, Diagnosen, all das muss man für einen Moment ausblenden und plötzlich verstand ich es. Ganz tief in mir löste sich der Knoten und wie eine Erkenntnis strömte es durch meinen Geist: Ich war absolut machtlos. Tims Pendel hatte aufgehört zu schwingen. Und so sehr ich es auch wollte und mich bemühte, es immer wieder anschubste, es schwang aus und blieb wieder stehen. Wie verhält man sich denn, wenn man mit jemandem seit Monaten täglichen Kontakt hatte, einem Freund, der sein Leben beenden möchte? Wenn man die ganze Zeit versucht hat, Hoffnung hatte und nun realisiert, dass es alles vergebens war? Es dauerte ein paar Tage, bis ich mich wirklich darauf einstellen konnte. In meiner Brust herrschte ein emotionales Chaos und in meinem Kopf ein Gedankenchaos. Also ließ ich mir ein Bad ein, legte mich in das heiße Wasser, der Dampf stieg langsam auf und ich starrte an die Decke. Wieder kamen mir die Tränen und ich fragte mich, ob und wie ich das wirklich durchstehen könne.
© Marie Naumann 2024-08-02