christlich und sozial

Sandra E. Mae

von Sandra E. Mae

Story

Mama sagt, ich muss brav sein. Besonders zum Herrn Pfarrer. Die Meinung vom Herrn Pfarrer ist sehr wichtig. Vielleicht, weil er den Herrn Jesus persönlich kennt, ich bin mir nicht sicher. Er sagt: “Lisa, der Herr Jesus will, dass wir lieb miteinander sind.” Sogar die Frau Hubert muss lieb sein, zu ihrem Mann, der sie immer so grauslich anschreit. Aber ihr Mann verdient das Geld, und wer das Geld verdient, hat die Hosen an, sagt Papa. Obwohl wir eigentlich alle immer Hosen anhaben, also was genau er meint, weiß ich nicht.

Ein “echter” Christ hilft anderen. Den Schwulen und Lesben muss auch geholfen werden, sagt der Herr Pfarrer. Die sind krank, deshalb sollen zwei Frauen nicht heiraten und zwei Männer sich nicht küssen. Außer den Herrn Pfarrer, den dürfen die Buben schon küssen, also wenn sie Ministranten sind und auch wenn nicht. Das ist auch Nächstenliebe, sagt der Herr Pfarrer. Aber die Schwulen und Lesben, die brauchen keine Nächstenliebe, die brauchen klare Regeln. Opa meint, solche Leute gehören aufgehängt. (Nur wo, frag ich mich. In der Kirche hängen nur Bilder von nackerten Babys und von der Heiligen Jungfrau Maria.) Der Mo ist auch schwul, der hat bei uns im Chor gesungen, aber jetzt darf er nicht mehr, weil der Herr Pfarrer dem Mo und seinen Eltern gesagt hat, dass Schwulsein eine Sünde ist und nicht zu christlich und sozial passt. Schade, ich habe den Mo sehr gemocht. Er war lieb zu mir, hat mir geholfen und sich um mich gesorgt. Aber der Herr Pfarrer mag ihn halt nicht so.

Die Ausländer mag der Herr Pfarrer auch nicht so. Mama sagt, das kommt daher, weil Neger Verbrecher sind. Aber der Mo hat mir einmal ein Video gezeigt von einem Chor aus Uganda, das ist in Afrika, das waren alle Neger und die waren keine Verbrecher.

Papa zieht gern so ein Leiberl an, wo “I bin a Österreicher” draufsteht. Wenn er einen Ausländer sieht, der ein Leiberl anhat, wo ausländische Schriftzeichen drauf sind, regt er sich aber auf. Sollen erst unsere Sprache lernen, meint er: “Das geht einen sonst auf dem Geist.” Ich sage dann, dass das grammatikalisch nicht ganz richtig ist, und Geister gibt es ja gar nicht, außer den heiligen, und Papa rümpft die Nase und antwortet, ich bin erst neun, ich habe nichts zu sagen.

Dabei habe ich ganz viel zu sagen. Zum Beispiel, dass der Mann von der Frau Hubert die Frau Hubert immer so grauslich anschreit. Oder, dass der Mo lieb ist, trotz seiner Schwulenkrankheit. Oder, dass Neger gut singen können und keine Verbrecher sind.

Aber ich muss brav sein.

Das will der Herr Jesus, sagt der Herr Pfarrer. Und der Herr Pfarrer weiß immer genau, was der Herr Jesus will. Auf die Frage, ob der Herr Jesus vielleicht schwul war wie der Mo, weil er immer mit so vielen Männern unterwegs war, hat mich der Herr Pfarrer am Ohr gezogen. Sowas darf man nicht sagen oder denken. Weil dann versündigt man sich. Ganz verstehe ich den Sinn nicht von alledem. Aber ich muss nix verstehen, meint Mama. Ich muss einfach brav sein. Christlich und sozial.

© Sandra E. Mae 2023-04-17

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