Christopher D. Ryan

Fabian Ladstätter

von Fabian Ladstätter

Story

Ich denke an Montag und spüre, wie ein Gefühl in mir hochkommt, das mir schon seit Jahren vertraut ist. Es hat sich zum ersten Mal bemerkbar gemacht, als ich in der 4. Klasse Volksschule für ein verlängertes Wochenende bei meiner Großmutter zu Besuch war. Ich habe es mir in ihrem grünen Ledersessel gemütlich gemacht, während ich mir voll Vorfreude die Vorberichterstattung des Grazer Derbys angesehen habe. Plötzlich fiel mir ein, dass es nur noch fünf Wochen bis zu meinem ersten Referat waren, woraufhin mein Magen so flau und mein Kopf so heiß wurden, dass mir die Freude am Fußball verging. Genau in diesem Moment war der Sportkommentator im Bild zu sehen. Seitdem sehe ich sein Gesicht vor meinem inneren Auge, wenn ich an ein unangenehm konnotiertes Ereignis in der nahen Zukunft denke.

Glücklicherweise muss es am Montag zumindest keine Buchpräsentation sein. Welchen Sinn es haben soll, einer ganzen Klasse den Inhalt eines Buchs zu spoilern und somit zu garantieren, dass es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit niemand lesen wird, habe ich nämlich noch nie verstanden. Stattdessen soll ich über einen Zeitungsartikel sprechen, hat die hübsche, junge Deutschlehrerin gesagt. Ich mag ihren Unterricht und habe mir daher vorgenommen, mich zu bemühen. Am Klo finde ich im profil einen Artikel über Zellteilung. Ich habe mit Naturwissenschaften eigentlich nicht viel am Hut, aber bevor ich ewig weitersuche, werde ich einfach darüber sprechen. Ich mache mir Stichwortkärtchen und fühle mich relativ gut vorbereitet, doch auch Sonntagabend vor dem Einschlafen sehe ich noch das Gesicht des Sportkommentators in High Definition, wenn ich die Augen schließe.

Ich habe mich freiwillig dazu gemeldet, das erste Referat des Jahres zu halten. Jetzt, wo es gleich soweit ist, bereue ich meine Entscheidung. Ich sammle mich kurz, atme durch und komme nach vorne. Die Klasse und die Deutschlehrerin sehen mich an. Es fällt mir schwer, Augenkontakt zu halten, während ich präsentiere. Immer wieder sehe ich dann aber doch in das Gesicht meiner Lehrerin, um nach Indizien dafür zu suchen, ob ich mich auf einem guten Weg befinde. Ihr Blick ist intensiv aber unergründlich. Nach sieben Minuten bin ich fertig und warte gespannt auf das Feedback.

„Ich hatte das Gefühl, dass es dir teilweise unangenehm war, uns anzusehen. Du könntest deinen Blick noch etwas mehr durch die Klasse schweifen lassen, damit sich alle angesprochen fühlen. Ansonsten muss ich dir sagen, dass diesen Artikel letzte Woche Schüler aus meiner Maturaklasse präsentiert haben und das lange nicht so gut gemacht haben wie du. Das war sehr klar, gut zusammengefasst und auf den Punkt gebracht. Freies Sprechen liegt dir. Ich freue mich darauf, mehr zu sehen.“

Ich nicke, lächle verlegen und setze mich. Ich bin 15 Jahre alt. Noch nie wurde ich in der Schule so präzise und nachdrücklich gelobt. Der Sportkommentator ist vor Referaten ab jetzt nicht mehr im Bild.

© Fabian Ladstätter 2021-08-14

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