28. September 1796. Der kleine Teich am Ende der Mühlhofstraße in Reiz, Hessen, wurde täglich von einem Jungen mit seiner Angel besucht. Statt eines Fisches fing er an jenem Tag den Hut eines fremden Mannes, der plötzlich auf der anderen Seite des Tümpels erschienen war. Dieser nahm dem Jungen den Hut prompt ab und hinterließ ihm einen seltsamen Taler. Eben jene Münze ist noch heute im Museum der alten Künste zu bestaunen. Wissenschaftler*innen zufolge handle es sich um eine Zwei-Euro-Münze aus dem Jahr 2018, die allerdings schon hunderte Jahre gealtert sei. Die Logik des menschlichen Verständnisses der Welt setzt an dieser Stelle aus. Es muss sich um ein Wunder handeln. Zu diesem Entschluss war auch der Junge gekommen, der sich einige Jahre später gemeinsam mit seinem Bruder auf eine Reise durch Europa begab, um weitere solcher wundersamen Vorkommnisse zu finden und in einer Märchensammlung festzuhalten.
30. März 1685. Ein regnerischer Morgen ging in einen regnerischen Nachmittag und einen bewölkten Abend über. Eine Stunde vor Sonnenuntergang ereigneten sich auf dem Steg im Hafen von La Rochelle eigenartige Dinge. Kein Boot hatte zwischen 12 und 20 Uhr angelegt und doch ging ein Mann an Land, staubtrocken und plötzlich. Er war an dem Hafenbeamten vorbeistolziert, der ihm seiner Anlegegebühr wegen hinterherrief – jener aber deutete nur auf den leeren Anlegeplatz und verschwand hinter der nächsten Ecke. Der verdutzte Beamte blieb zurück, um einen verwunderlichen Vermerk in seinem Logbuch zu hinterlassen, an dem sich Historiker*innen heute noch abarbeiten: „Mannschaft: 1; Schiffe: 0.“ Mehr Hinweise lassen sich aus dem Dokument nicht extrahieren. Ein Zusammenhang könnte allerdings mit einer tradierten Anekdote der Marquise de Maintenon gezogen werden: Ein Mann mit schwarzem Hut soll ihr an eben jenem Tag einen Besuch abgestattet und ein Geschenk hinterlassen haben, das sie zum Weinen brachte. Angeblich war es ein mysteriöses Buch, das allerdings seit der Revolution nicht mehr aufzufinden oder nachzuverfolgen ist.
9. Juni 1574. Wenn man jemanden als eine verlässliche Quelle bezeichnen kann, dann den Sekretär des Barons von Orljevo, Ivan Tommas, der jeden Tag seines Lebens in einer überraschend gut erhaltenen Sammlung von Journalen festgehalten hat. Das letzte dieser Journale, das die Spanne eines Jahres umfasst, behandelt hauptsächlich einen Mann, der nur als Zivko bezeichnet wird. Er schien wie aus dem Nichts im Arbeitszimmer Ivans aufgetaucht zu sein. (Originalzitat: „Ganz in Schwarz gekleidet stand er da, den Hut tief ins Gesicht gezogen. Ich glaubte, der Tod wäre gekommen, mich zu holen, doch er versicherte mir, ebenfalls nur ein sterblicher Mensch zu sein. Seine einnehmende Art ließ mich im Augenblick die seltsamen Umstände seines Erscheinens vergessen. Er wich mir nun seit seiner Ankunft nicht von der Seite.“) Der Mann wirkte wohl das ganze Jahr über als Ivans Assistent. Zivko wohnte auch in Ivans Räumlichkeiten, keine unübliche Konstellation zu dieser Zeit. Die beiden schienen in diesem Jahr der Zusammenarbeit eine enge Freundschaft entwickelt zu haben. Nach dem tragischen Tod Ivans in einem Duell 9. Juni 1575, dessen Gründe nicht bekannt sind, finden sich keine weiteren Aufzeichnungen über Zivko in Orljevo.
© Melanie Hofstätter 2023-10-06