von KathrinBArtho
Cinderella kann mich mal. Ja, im Ernst. Diese doofe Kuh. Kommt sie und behauptet, wenn man einen Schuh auf der Treppe vergaß, würde man so einen Prinzen finden. Pff. Was für einen Haufen Mist! Seien wir mal ehrlich. Wenn eine Frau, um zwölf Uhr nachts, auf dem Nachhauseweg ihren Schuh verliert, ist sie betrunken und garantiert, würde ihr keiner hinterherrennen. Die besagte Dame würde mit nur einem Schuh nach Hause gehen, sich auf dem Weg noch einen Döner holen, sich dann zu Hause aufs Sofa legen und am nächsten Tag alles wieder hoch geben. Ich fluchte über Disney und die Welt, während ich genervt und unter Zeitdruck durch meine Wohnung hastete und den linken Schuh meiner roten Pumps suchte. Es gab eleganteres und sicherlich praktischer, als im Cocktailkleid, auf den Nylonstrümpfen durch die Wohnung zu schlittern. Aber ich hatte keine Zeit, mich darum zu kümmern. Endlich, als ich unter der Kommode im Gang nachsah, fand ich ihn: den doofen roten Schuh. Am liebsten hätte ich flache Schuhe angezogen, aber ich durfte nicht, laut Melanie. Ich kam, Staub übersät, unter der Kommode hervor.
Wo habe ich denn jetzt den rechten hingelegt? Kennt ihr das, wenn man aus einer Laune heraus irgendwelche Dinge zusagte und es dann im Nachhinein bereute? Ja, so erging es mir jetzt. Am liebsten wäre ich zu Hause geblieben, mein Körpergewicht in Fast Food gegessen und dabei Netflix geschaut. Aber nein, zugesagt ist zugesagt.
Es klingelte. Barfuß ging ich zur Tür und drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage.
»Hallo. Bist du bereit?«, hörte ich Melanies Stimme. Sie war – wie immer – im Stress. Ich betätigte den Türöffner. Während ich mich in der Küche nach dem Schuh umsah, hörte ich, wie Melanie die Tür öffnete.
»Wir müssen los!«, sagte sie, kaum war sie in meiner Wohnung.
»Ich komme.« Ich kam aus der Küche geschossen und hob die Kissen vom Sofa: »Ich suche nur noch meinen rechten Schuh.« Melanie seufzte und setzte ihre Tasche auf der Kommode ab.
»Du bist ein Huhn, Lily.« Sie ging in mein Schlafzimmer und durchsuchte meinen Kleiderschrank. »Nimm doch die Grünen«, rief sie.
»Die sind zu groß. Da rutsche ich immer mit der Ferse raus«, sagte ich und gab meine Suche in der Küche auf.
Melanie kam mit der Schuhschachtel aus meinem Zimmer und drückte sie mir in die Arme. »Mach einfach kleine Schritte und es wird schon gehen. Die sind nicht zu groß, dein Fuß ist zu klein«, fügte sie mit einem Grinsen hinzu.
Ich musste auch gestehen, dass ich die Schuhe nie getragen hatte. Sie waren schön und ich hatte sie in einem kleinen Geschäft in London gekauft. Die Verkäuferin war eine schrumpelige Frau gewesen, welche vor Freude gequietscht hatte, als ich die Schuhe betrachtet habe. Sie hatte sie mir in die Hände gedrückt und mit einem Zwinkern geflüstert: «Schuhe können ein Leben verändern. Fragen Sie nur Cinderella.»
© KathrinBArtho 2023-03-22