von Daniela Krammer
„Ich verstehe nicht,“ sagt der Herr sechzig plus vor mir am Kniebeuge-Gerät im Fitnesscenter, „warum so viele junge Frauen hier sind! Müsstet ihr euch nicht um das Mittagessen für eure Familien kümmern?“ Ja ich gebe zu, es war verrückt, am Sonntag um halb zwölf trainieren zu gehen, diese Idee haben offenbar mehr Menschen als ich dachte. Mit so einem Spruch habe ich allerdings nicht gerechnet. „Oh ich hab heute Brunch für die Familie gemacht, jetzt trainiere ich, um für meinen Mann schön knackig zu bleiben und abends mach ich Schnitzerl!“ strahle ich den Herrn an.
Ehrlich gesagt bestand der Brunch aus einem großen Häferl Kaffee für MICH und die Schnitzerl am Abend macht der Schnitzel-Kaiser. Aber der Blick des Herrn war unbezahlbar und mein inneres Kichern über meine Schlagfertigkeit nach einer langen Ballnacht ebenfalls.
Wir Künstler und Künstlerinnen tendieren ja dazu, uns immer zu kritisieren. Wenn wir gut gebucht sind: „Hach, ich hab soviel zu tun! Ich komme kaum dazu, meine Buchhaltung zu erledigen, geschweige denn, Freunde zu treffen!“ Wenn die Buchungslage eher traurig ausschaut: „Oh Gott, ich bin so schlecht, keiner mag mich und meine Musik! Ich bewerbe mich jetzt als Verkäuferin oder Lagerarbeiter!“
Der Musikerinnen-Jahreskreis könnte etwa so ausschauen: Jänner, Februar – Ballsaison, Vollgas. März, April – Keine Buchungen? Nur sechs Auftritte im Monat? Ich bin so schlecht, keiner will meine Musik hören! Wie soll ich überleben? Mai, Juni – Firmenfeiern, Hochzeiten. Warum wollen alle jetzt heiraten? Ich kann mich doch nicht vierteilen! Juli, August – Endlich Sommer, bitte keine Buchung mehr, ich brauche zumindest drei Wochen am Stück Zeit, um am Meer zu sitzen und nichts zu tun! Wirklich. September, Oktober – Siehe März, April. November, Dezember – Was? Am 15. November die erste Adventfeier? Eine Weihnachtsfeier jagt die andere, drei Termine pro Tag – geschlafen wird wieder nach Weihnachten.
Dann gibt es noch den Circle of Blues, der innerhalb weniger Tage etwa so eine Kurve hinlegen kann: Mittwoch – okay, die nächsten drei Tage durchspielen. Das heißt volle Disziplin. Morgens halbwegs ausschlafen, Yoga-Übungen machen, gesund essen. Donnerstag – Das läuft doch wunderbar, ein Glaserl Sekt hab ich mir verdient. Freitag – Ballnacht mit Empfang der Ehrengäste. Sieben Stunden spielen, strahlen, glänzen. Tolle Reaktionen, die Tanzfläche ist voll bis zum Ende. Wir werden sofort für das nächste Jahr wieder gebucht, großartig! Samstag – Ausschlafen, Buchhaltung. Sonntag – Lasst mich bloß in Ruh. Gestern war Samstag, ich hatte keinen Auftritt, ich bin als Musikerin völlig out. Keiner liebt mich und meine Musik. Ich will jetzt eine Kaffee und dann gehe ich halt trainieren.
Schön, wenn man dann auf so einen Herrn im Fitnesscenter trifft, der den inneren Blues mit so einer absurden Meldung moduliert und die innere Kratzbürste aktiviert.
© Daniela Krammer 2020-01-19