Citlaltépetl – der Berg des Sterns

Stefan Perner

von Stefan Perner

Story

Größentechnisch steche ich in Mexiko nicht heraus, doch ich bin bleich und wirke für sie fremd. Noch dazu schleppe ich einen riesigen gelb-schwarzen Expeditionssack auf meinem Rücken umher. Was sie sich wohl denken, während sie mich anstarren und um mich her wuseln?

Es dauert fast einen ganzen Tag, bis ich nach mehrmaligem Umsteigen mit dem Bus in Tlachichuca ankomme. Ein kleines, verschlafenes, staubtrockenes mexikanisches Städtchen, wie man es aus Filmen kennt. Ich höre Mariachis musizieren. Meine Unterkunft finde ich trotz Adresse nicht. Mit Straßennamen & Hausnummern hat man es hier wohl nicht so. „Wo finde ich Dr. Reyes?“, frage ich beim Greißler. „Ah… ein Bergsteiger. Mein Sohn zeigt dir den weg“, sagt die Dame an der Kasse. Sind Ausländer hier, kommen alle zum Doktor. Er ist pensionierter Mediziner, betreibt aber auch eine Outdoor Agentur, die hilft, wenn man auf den Orizaba will.

Dr. Reyes bringt mich tags drauf mit einem Jeep rauf zum Camp. Sogar mit 4×4 ist das ein Kampf! Das Auto knarzt bei jedem größeren Schlagloch, als ob es auseinander fällt. „Willst du wirklich alleine gehen?“, fragt er mich am Berg. Ich nicke, nehme meinen Rucksack und gehe in das Refugio. Das ist keine gemütliche, saubere Berghütte wie man sie in den Alpen findet, sondern eine gemauerte Baracke. Ein Raum zum Bersten gefüllt mit Gepäck & Menschen. Keine Betten, sondern Holzplanken auf denen man dicht an dicht, wie Sardinen in der Dose, liegt. Olfaktorisch ein Erlebnis der Sonderklasse! Bis zur Schlafenszeit bleibe ich also draußen.

Eine Drohne fliegt umher. Probeflug für Filmaufnahmen. Alexander Schulz will den Krater des Vulkans auf einer 400 Meter langen Slackline überqueren. Das ganze auf über 5.600m. Komplett irre! Ich möchte nur alleine zum Gipfel und wieder heil runter!

Isidro, Kommandant einer Spezialeinheit des Militärs, reicht mir Tee und Suppe. Er freut sich, dass ein Gringo gut Spanisch spricht, um die Welt reist und den höchsten Berg seines Heimatlandes besteigen will. Mitten in der Nacht, als alle die Besteigung starten, ist er mir eine große Hilfe! „¡Esteban!¡Sígame!“ ruft er mir zu. Ich soll ihm folgen. Die Passage heißt nicht umsonst „das Labyrinth“. Unzählige Pfade führen durch das Blockfelsengelände, viele sind Sackgassen. Er kennt sie, wie seine Westentasche.

Den Rest gehe ich einsam und alleine. Technisch unschwer, doch die Höhe fordert mich wie immer. Viele kommen mir kurz nach Sonnenaufgang schon grinsend entgegen, während ich mich noch eine Weile plagen muss. Unbeirrt setze ich meinen Weg fort, bis ich ganz einsam am Gipfelkreuz des Pico de Orizaba (auch Citlaltépetl, Berg des Sterns genannt) stehe.

Dieser Moment kombiniert mit dem Ausblick lässt mich sogar feuchte Augen bekommen. So weit das Auge reicht ein sanftes Wolkenmeer. Nur im Norden sieht man den Popocatépetl rauchig husten. Ich öffne mein Dosenbier und genieße diesen stillen Platz, den ich nur für mich alleine habe, bevor es wieder hinunter geht.

© Stefan Perner 2020-04-08

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