„Ich finde meinen bunten Hut nicht mehr!“, sagte David am Tag vor der Generalprobe zu Florentina. „Ohne meinen Hut trete ich nicht auf!“ – „Das ist jetzt aber nicht dein Ernst!“, meinte Florentina. „Lass uns im Kostümfundus schauen; dort finden wir sicher einen Ersatzhut!“ – „Nein, es gibt keinen Ersatz für meinen Regenbogenhut! Vielleicht hat ihn mir ja jemand gestohlen?“ – „Also David!“, protestierte Florentina. „Was ist nur los mit dir, heute! Willst du ernsthaft sagen, dass einer oder eine von unserer Truppe…?“ – „Nein. Eh nicht…“, erwiderte David kleinlaut. „Wahrscheinlich hat ihn der starke Wind von heute Nacht weggetragen; ich hatte ihn gestern zum Auslüften ins Freie gelegt… Aber es ist ganz komisch, Florentina: ohne diesen Hut fühl’ ich mich total schwach!”, fügte David hinzu. „Ich hab’ mir vorhin probeweise deinen aufgesetzt, aber die Schwäche bleibt!“ – „Mist, ich glaub’, du wirst krank!“, sagte Florentina und griff David an die Stirne. Die fühlte sich aber gar nicht heiß und fiebrig an. „Ich kann doch nicht ohne dich auftreten!“, fügte sie hinzu. „Da müsste ich mir jetzt, in Nullkommanix, eine neue Nummer ausdenken! Und ich wüsste auch niemanden, der statt dir…“- „Ich würde sagen, du trittst als schwacher Clown auf. Und ich setze auch keinen Hut auf, okay? Unsere Nummer heißt dann einfach: ”Ohne Hut…fühl‘ ich mich gar nicht gut!“- „Und darüber werden die Leute lachen? Das glaubst du selber nicht!” – „Komm, wir probieren’s einfach!” – „Ich kann nicht, Florentina! Ich kann einfach nicht!”
Es war das erste Mal, dass David und Florentina nicht dasselbe wollten – und das, ausgerechnet, einen Tag vor ihrer ersten Zirkusvorstellung. Florentina konnte ihre Traurigkeit und Enttäuschung nicht verbergen. Tränen kullerten ihre Wangen hinunter. „Ich bin entsetzlich müde!”, sagte David, während er sein Clownkostüm auszog. „Ich lege mich jetzt gleich nieder.” Sagte es und ließ die weinende Florentina alleine in der Manege zurück. „Das ist alles ganz normal, meine Liebe!“, hörte Florentina im nächsten Augenblick. „Lampenfieber heißt das. Morgen schaut die Welt wieder anders aus und ihr werdet eure Nummer spielen.“ Die Schildkröte Samantha, die unbemerkt in die Manege gekommen war und sich mit Aufwärmübungen auf ihren Auftritt bei der Tierpyramide vorbereitete, hatte alles mitangehört. „Ehrlichgesagt hab‘ ich selbst auch Lampenfieber: Immerhin muss ich ja auf die Katze Whity klettern und darf mich dann nicht bewegen…das braucht Konzentration und Körperbeherrschung!“
Tatsächlich sollte Samantha wieder einmal Recht behalten: Am Tag der Generalprobe, als es ans Schminken und Kostümeanziehen ging, war David wieder voll dabei. Es herrschte rundherum, bei allen, eine aufgeregte Vorfreude. Jeder und jede staunte, wie hübsch die anderen, geschminkt und in ihren bunten Kostümen, aussahen. „Wow, David, du hat dich ganz toll geschminkt!” meinte Florentina. „Und die gelbe Perücke steht dir wirklich sehr gut!”
© Roswitha Springschitz 2023-02-06