von Nadja Neubauer
Seine Nase leuchtete zinnoberrot und konkurrierte mit den orangeroten Haaren und dem kirschroten Mund in einem kalkweißen Gesicht um die Aufmerksamkeit der Passanten. Doch beachtete ihn niemand. Auch sein grünes Oberteil mit den roten Puffärmeln und den viel zu großen weißen Knöpfen kombiniert mit einer rot-grün-gestreiften Schlaghose und alten dunkelbraunen Lederschuhen, die zwei Nummern zu groß waren, fiel heute nicht auf. Ebenso wenig brachte der bunte Strauß Luftballons, den er in Händen hielt, die Kinder zum Staunen. Heute war er nur ein Clown unter vielen. Viele Menschen waren heute mit komischen Outfits und Konfetti in den Haaren unterwegs. Er sah einen Mann im Spiderman-Kostüm, das wie ein Ganzkörperkondom kein Gramm Fett am Körper versteckte, nur dass der Mann kein Fett zu haben schien. Eine Gruppe Bienen oder Hummeln bevölkerte eine Seitenstraße und ließ niemanden vorbei, der nicht zum Volk der schwarzen und gelben Streifen gehörte. Er sah Frauen mit Bärten und Pistolen am Gürtel und Männer mit langen Haaren und Lippenstift in Netzstrumpfhosen. Er sah Frösche und Tiger und sogar Einhörner, die es nun wirklich nicht wirklich gab. Zumindest hatte er noch nirgendwo auf der Welt eines in echt gesehen. Nur heute da gab es sie, hier mitten auf der Straße. Sie sangen und tanzten, tranken und lachten laut. Wie albern, dachte der Clown, und beäugte die anderen Clowns argwöhnisch. In ihren Perücken und bunten Kleidern mit roten Nasen und ganz viel Schminke im Gesicht waren sie ihm nicht geheuer. Er traute den Clowns nicht über den Weg. Sie wollten sein wie er. Aber sie waren nicht wie er. Er war ein echter Clown. Niemals käme er auf die Idee, so wie sie sein zu wollen. Warum wollten die Menschen heute also alle Clowns sein? Manchmal fragten ihn die Leute, was das Kostüm solle, Karneval sei doch längst vorbei. Welches Kostüm? Wenn er ihnen versuchte, zu erklären, er sei ein echter Clown, dann lachten sie, als hätte er einen Witz gemacht, dabei war ihm gar nicht nach Witzen zumute. Er verstand nicht, warum sie über ihn lachten. Als echter Clown war er überhaupt nicht lustig, manchmal war er todtraurig und sah alles rabenschwarz. Kunterbunt war seine Welt nur selten. Heute, heute war sie bunt. Und er ging weiter durch die Straßen an den Menschen in ihren knallbunten, farbigen Kleidern vorbei. Alle waren so ausgelassen. Einmal jemand sein zu dürfen, der man sonst nicht war, einmal in eine Rolle schlüpfen dürfen, von der man sonst nur träumte, einmal nicht man selbst sein zu müssen, stimmte die Menschen fröhlich. Der Clown wunderte sich über sie. War man nicht unter seinen Kleidern, ganz egal, was man trug, immer noch man selbst? War die Welt nicht trotzdem noch dieselbe? Das Selbst wurde man doch nicht los, nur weil man in eine andere Rolle schlüpfte, sich schminkte oder anders gab. Der Clown konnte über sich selbst urteilen, Distanz zu sich selbst gewinnen, aber er konnte sich selbst nicht loswerden. Auch wenn er noch so sehr versuchen würde wie ein Einhorn zu sein, bliebe es immer nur bei einem wie ein. Er war keins. Der Clown war ein Clown und blieb ein Clown. Die Selbstannahme als Clown mutete komisch an, weil niemand immer Clown sein wollte. Doch der Clown mochte sein Clown-Sein. „Schau mal, Mami, ein echter Clown!“ Ja, das war er. Echt. Nur heute auf der Straße umgeben von feiernden Clown-Doubles glaubte man ihm seine Echtheit noch weniger als sonst.
© Nadja Neubauer 2024-02-13