von M_S_Haurowitz
Mitten in der mental größten Krise meines Lebens besuche ich meine 88jährige Oma in der Steiermark. Leider finde ich viel zu selten Zeit für derartige Besuche, jedoch sehe ich jeden einzelnen als ein wertvolles Geschenk. Obwohl mein Opa bereits vor mehr als 14 Jahren gestorben ist, steht Oma voll im Leben- sie ist gesund, kümmert sich regelmäßig um ihren Garten, und wenn man auf die Frage, ob man denn nicht gerne eine Zucchini mitnehmen möchte bejahend antwortet, geht sie schnurstracks raus, gräbt sie aus und packt sie ein.
Diesmal ist es für mich ein hochemotionaler Besuch, denn die Beantwortung der Frage, wie es mir geht, zerreißt mir fast das Herz. Ich weiß nicht wie man den Effekt nennt, dass man Leuten in so einem Alter oft gerne zwar die Wahrheit erzählt, sie jedoch ein wenig abschwächt, sodass sie doch nicht so brutal klingt- man spannt quasi ein Oma-Notfallnetz, um ihre Nerven zu schonen.
Doch diesmal klappt es mit dem Spinnen des Netzes einfach nicht- ich sitze gerade beim Mittagessen mit Nina und ihr- und zwischen Zucchinisuppe und Wienerschnitzel kommt sie, die Frage nach dem Wohlbefinden. „Naja, weißt du, eigentlich ging es mir in letzter Zeit nicht so gut. Du weißt ja, ich hatte ein paar Aufregungen, die nicht so leicht waren, und ich mach mir ganz viel Sorgen um alles und jeden, deshalb meinten die Ärzte es wäre gut, wenn ich mal für sechs Wochen auf Kur gehe.“ Sie antwortet darauf, dass dies eigentlich eine geniale Idee wäre, weil ich hatte ja ohnehin schon seit der Studienzeit so viel Stress- da wäre eine Erholung mal ganz super, denn da könnte ich mich mal anständig kurieren. Danach passiert mir, was mir im Laufe dieses Weges noch nie passiert war- ich verliere die Kontrolle, es bricht förmlich aus mir heraus, ich weine Bäche, und das vor meiner Frau und meiner Großmutter. Es dauert so einige Minuten, bis ich überhaupt wieder Wörter oder einen Satz formen kann- vom Essen gar nicht zu reden.
Nachdem ich meine Stimme wieder gefunden habe meint sie zu mir: „Schau, das ist doch gar kein Problem mit dem Weinen. Auch bei mir ist es oft so- es bricht einmal aus einem raus, und dann geht’s auch schon wieder ein wenig besser. Du brauchst dir keine Sorgen über das Leben oder über uns machen. Es kommt bei jedem einmal der Punkt, wo es zu Ende geht, aber das soll keine negativen Gefühle bei dir auslösen- das ist normal. Warum solltest du dir also über uns Sorgen machen? Wir machen uns um dich ja auch keine.“
In all den Konversationen mit Menschen, die man auf einem Weg der Transformation führt, war kaum eine Botschaft für mich so einfach und treffend formuliert. Ihre auf den ersten Blick simplen Aussagen, haben schlagartig bei mir so viel Positives bewirkt, dass man es kaum in Worte kleiden kann- es erscheint mir rückwirkend fast so, als hätte sie mir hier zwischen Suppe und Hauptgang ca 70 Kilogramm aus meinem Rucksack genommen- vor allem durch die Gefühle, ihr Verständnis und die Ruhe, die sie transportiert hat. Coaching bei Oma ist einfach großartig.
© M_S_Haurowitz 2020-07-31