COLDPLAY und der Herdentrieb

Klaus P. Achleitner

von Klaus P. Achleitner

Story

Die Menge bewegt sich langsam durch die dunkle Vorortstraße. Es wird gescherzt/gelacht/geschwiegen/geredet. Immer wieder kommt der Menschenfluss zum Stillstand. Ich kann mir nicht erklären, warum. Warten, dann geht es plötzlich wieder weiter.

Wir erreichen die S-Bahn-Strecke, dahinter die Bus-Parkplätze. Genau vor uns senkt sich der Eisenbahnschranken herab. Die Ursache des Stop-and-Go-Verkehrs. Die Schnellbahn gibt den Takt vor. Nur wissen das die Nachdrängenden nicht. Die vorderste Reihe wird gegen den Schranken gedrückt. Ein einsamer Security-Mann versucht, mit Winken und Rufen die Masse zu stoppen. Vergebens. Erste Reihe fußfrei wird’s brenzlig. Einige ducken sich unter dem Schranken, stehen auf dem Gleiskörper. Echt jetzt? Langsam Erdrücktwerden oder der letzte und ultimative Flirt mit einem Triebwagen? Dabei war der Tag so schön verlaufen!

Freunde hatten mich überredet, aufs Coldplay-Konzert nach München mitzufahren. Ich bin weder Coldplay-Fan, noch liebe ich extreme Menschenansammlungen. Aber sie ließen nicht locker und so fuhren wir per Bus in die Bayernmetropole. Während der Fahrt informierte uns der Chauffeur über den Ablauf. Dann wünschte er uns viel Spass bei den „Coldboys“. Gelächter. Wohl zu oft aufs Schürzenjäger-Openair gefahren, der gute Mann!

Am späten Nachmittag saßen wir auf dem Rasen und genossen die Atmosphäre der sich langsam füllenden Arena. Eine riesige Bühne, auf der bereits geprobt wurde, emsiges Treiben, feiernde Leute. Dann begann auch schon die erste Vorband. Die untergehende Sonne tauchte das Reitstadion in ein wunderbares Licht. Die Stimmung fast unerträglich schön.

Dann stürmte Coldplay auf die Bühne, Chris Martin schnappte sich das Mikro. Er begrüßte 30.000 johlende Fans. 150 Konzerte weltweit spielten sie auf ihrer „Viva la vida“-Tour und heute war München „the place to be“. Das Konzert war, ich geb’s zu, wirklich mitreissend, Coldplay gab alles, inklusive Ausflüge ins Publikum. Zur Zugabe wechselte die Band sogar auf eine kleine Bühne mitten im Stadionrund. Dramaturgisch perfekte Show, Konfetti-Regen, leuchtende Handys. Irgendwann Licht aus und die Herde drängte zu den Ausgängen.

Eine halbe Stunde später stehen wir an dieser S-Bahn, den Schranken an der Brust, nachdrängelnde Menschen im Rücken, rechts und links Gartenzäune. Panik macht sich breit. Der Ordner erkennt die Gefahr und versucht einzugreifen. Plötzlich taucht ein per Funk herbeigerufener Streifenwagen auf, zwei Polizisten stemmen sich der Menschenlawine entgegen. Immer mehr Leute drängen sich zwischen Schranken und Gleiskörper. Und dann hört man ein Pfeifen und die S-Bahn zuckelt haarscharf vorbei. Der Schranken hebt sich und ein neues Paket der menschlichen Herde überquert getaktet die Gleise.

Es ist gut ausgegangen, was umso mehr verwundert, als sich diese gefährliche Situation mehrmals abgespielt hat. Seit diesem Abend habe ich eine Ahnung, was Todesangst bedeutet!

© Klaus P. Achleitner 2020-07-04

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