von Erdim Özdemir
Kaum zu glauben, dass ich einmal im Leben Tim Bendzko zitiere – aber ich bin Teil einer abgefuckten Generation, da ist man willig für verrückte Dinge:,,Ich bin doch keine Maschine. Ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut.”
Dabei fühlt sich jeder Tag an, als müssten wir wie Roboter an uns herumschrauben. Bob der Baumeister und Willy Werkel basteln dabei nicht mehr auf dem Schrottplatz an Autos und Baugerüsten herum. Sondern an sich. Ok, Zweideutigkeit lässt grüßen.
Ein Finger in die sozialen Medien und schon greifen Besserwisser*innen und Biohacker brachial nach unseren Händen. Unsere Finger schneiden wir an den Anweisungen, die sie in unsere Münder stopfen. Anweisungen, die von Fabeln erzählen, wie wir zur besseren Version unserer Selbst werden. Bis die Forschung eines Tages uns ein Elixier der Unsterblichkeit aus fragwürdigen Ingredienzen braut. Und bis zu diesem wissenschaftlichen Durchbruch müssen wir besser werden. Besser. Schneller. Schlauer. Schöner. Sterblicher. Sportlicher. Gesünder. Resilienter. Besser. Einfach mal aufhören, so zerbrechlich zu sein.
Max, Pamela, Anton – generische Influencernamen – schwören auf ihre Spirulina-Smoothies und Proteinriegel. Jeden Morgen um 4:59 bitte auch noch einen Vitamincocktail schlürfen. Der 5-am-Club ist nämlich schon wieder out. Saftkuren ölen unsere Knochen, die neueste Gymwear aus Polyester und Rabattcodes motzt unsere Gelenke auf und Anna schwört auf Investments mit Geldern, die wir nicht haben. Denn das beste Investment fließt in uns selbst. Freundschaften sollen wir auch nicht mehr pflegen, es geht allein um uns. Es heißt ja schließlich Self-Care. Unsere Rüstung, nicht die Schrottteile von anderen. Scheiß auf soziale Interaktionen, wenn toxische Routinen der neue Shit sind. Es zählen nur noch Gainz und Proteine. Von Individualität wird gepriesen, aber dennoch sollen wir alle dieselbe Werkstatt aufsuchen und dieselbe Politur der toxischen Optimierung erleben. Wer rastet, der rostet. Und wer dann rostet, wird ins Exil der Faulen und Unproduktiven verbannt.
Wir sind alle nicht gut genug. Wir schleifen die Schichten unserer Existenz ab und müssen uns mit neuen Bauteilen pimpen. Sterblichkeit ist uncool. Gut reicht nicht mehr. Gut heißt schließlich nicht besser. Andere diktieren diese Prämisse der Optimierung. Dabei dürfen wir uns gut fühlen – auch wenn wir bis 11:23 morgens nach einer durchzechten Nacht mit einem Kater schlafen, uns mit Geschlechtskrankheiten infizieren und uns dann auch mal zweimal die Woche Burger reinpfeifen. Sie nennen sich alle Biohacker, doch verstehen nicht, wie ich als Individuum programmiert bin. Welche Upgrades ich brauche, das weiß ich ja wohl am besten. Oder meine Therapeut*innen oder Ärzt*innen. Sie wollen inspirieren, aber dabei vergiften sie uns.
Ich bin keine Maschine. Ich funktioniere anders. Und das weiß ich. Ich habe Ernährungswissenschaften studiert, trinke trotzdem Cola und gehe ins Gym.
© Erdim Özdemir 2022-03-18