von Daniela Krammer
So wie heute habe ich dieses Sprichwort noch nie erlebt. Auf der Post geht wirklich die Post ab. Nicht nur die Zusteller sind voll im Einsatz, um alle Pakete an die richtige Adresse zu bringen, auch Briefe wollen an die lieben Verwandten verschickt werden. Deshalb ist die Schlange an den beiden offenen Poststellen lange. Sehr lange. Und ich steh mitten drin mit meinen zwei Briefen. Ein Kondolenz-Schreiben für einen lieben verstorbenen Freund und ein Adventkalender für die kleinste Nichte, die ich seit August nicht mehr gesehen habe.
Hinter mir steht eine Mutter mit zwei Kindern, die ein bisschen im Geschäft herumlaufen. Ich schau ihnen wohlwollend hinterher, will ihnen zuzwinkern, aber weder die Kinder noch die Mutter reagieren. Die zwei Mädchen verstecken sich hinter ihrer Mutter, die mit starrem Blick an mir vorbeischaut. So wie jeder hier in der Schlange. Dicke Luft zum Greifen. Gedankenblasen hängen in der Luft: “Geht das nicht schneller? Was will die Alte da vorne so lange?“
Eine der Frauen hinter dem Plexiglas verlässt ihren Platz und geht in den Vorraum. “Bitte, es dürfen nicht so viele Menschen hier sein, halten Sie bitte Abstand und warten Sie auch draußen.“ sagt sie sehr freundlich aber bestimmt. Ein Mann fängt an zu Brüllen: “Bei der Saukälte warte ich sicher nicht draußen!“ Große Diskussion, die Leute werden noch starrer. Jeder will so schnell es geht, weg. Als die Frau wieder vorne ist, höre ich sie zur Kollegin atemlos sagen: “Mah, ich halt das bald nicht mehr aus. Die Leut werden immer narrischer!”
Ich komme dran und gebe meine beiden Briefe ab, versuche, den beiden ein Lächeln zu schenken. Schwierig, durch die Maske, vor allem, weil sie keinen Kopf haben, jeden Kunden auch noch anzuschauen. Wäre es nicht schön, denke ich, wenn jemand diese Spirale der Unzufriedenheit, der Anspannung unterbrechen könnte? Nachdenklich erledige ich noch meine Besorgungen.
Nach dem Einkauf, wenige Schritte von zu Hause entfernt, mache ich auf dem Absatz kehrt und gehe nochmal zum Billa und danach mit festem Schritt und klopfendem Herzen zur Post. Noch einmal stelle ich mich in die Schlange. Eine Dame vorne am Schalter protestiert: “ Was?? 1,2o kostet der Brief? Nein, da zahl ich nicht auf. Das ist ja Wucher!“ Die Stimmung hier hat sich nicht geändert.
Ich komme dran und gehe zum freien Schalter. Die Post-Beamtin schaut mich an und sagt: “Bitte?” Ich greife in meine Tasche und hole eine Packung Merci heraus, schiebe sie über die Theke und sage: “Sie haben so viel Arbeit und es ist sicher nicht einfach, die Nerven zu behalten! Das ist ein kleines Dankeschön und Nerven-Nahrung für Sie und Ihre Kollegen!” Sie schaut mir in die Augen und strahlt. Ich sehe, wie ihre Augen feucht werden – meine übrigens auch. Sie atmet einmal tief durch, ihre Kollegin am Nebenschalter auch. Beide sagen: “Danke, Danke, dass die da sind!”
Ich gehe hinaus, ohne auf die Schlange hinter mir zu achten. 3 Menschen habe ich gerade glücklich gemacht. Die beiden und mich.
© Daniela Krammer 2020-11-27