von Hedda Pflagner
Es muss 1961 gewesen sein.
Zwei Kinder rasen mit einem winzigen Trittroller die belebte Hauptstraße der Kleinstadt Eisenstadt hinab, links und rechts fahren die Autos an ihnen vorbei. Manche hupen laut und tippen sich dabei mit der Hand auf die Stirn. „Habt ihr einen Vogel?“ , mag das wohl geheißen haben.
Zugegeben, damals hielt sich der Verkehr noch in Grenzen. Trotzdem, die Kinder, ein Bub und ein Mädchen, höchstens acht Jahre alt, machten etwas Gefährliches. Und das wussten sie auch. Das Mädchen stand vorne und der etwas größere Bub hinten und hielt das Mädchen mit seinen mageren Ärmchen umfangen und lenkte das Vehikel.
Das Mädchen war ich, noch keine acht Jahre alt, zweite Klasse Volksschule. „Er“ hieß Hannes und war ein Schulfreund. Der Trittroller gehörte ihm und er hatte ihn wahrscheinlich nach der Schule von Zuhause geholt. Er wohnte irgendwo nahe dem Zentrum.
Genau erinnere ich mich nicht mehr. Aber damals war ich ein abenteuerlustiges kleines Mädchen und offenbar auch manchmal zu Späßen bereit, deren Konsequenzen – da spricht jetzt die Erwachsene aus mir – ich damals noch nicht abzuschätzen wusste.
Ich weiß nur noch, wie lustig es war, die Hauptstraße hinunterzuflitzen und je mehr Lärm um uns herum war, desto verwegener fühlten wir uns. Unten, beim alten Schwechaterhof angelangt, drehten wir um und gingen noch einmal hinauf bis zum Schloss Esterhazy. Hannes schob selbstverständlich sein Gefährt und ich trabte hinterher. Und dann ging ́s noch einmal hinab, wieder zwischen den hupenden Autos hindurch.
Beim zweiten Mal gab es einen Zwischenstopp: Ziel war der kleine Lebensmittelladen von Markus Scherz, ca. vis-a-vis von der alten Bäckerei Steiner, in der Nähe des prächtigen barocken Rathauses, das uns damals allerdings völlig gleichgültig war. Lohn für unsere waghalsige Fahrt waren zwei nackte Kaisersemmeln, die damals fünfzig Groschen kosteten. Viel Geld für zwei Volksschüler in diesen Zeiten. Um mitfahren zu dürfen, hatte ich das Geld zu haben, so war es auch schon damals, nichts war umsonst. Ich hatte am Vorabend meiner Mutter einen Schilling aus dem Geldbörserl geklaut … Zwar hatte ich ein furchtbar schlechtes Gewissen, doch die Verlockung, mit Hannes und dem Roller die Hauptstraße hinabzusausen, war offensichtlich größer gewesen.
Als ich viel zu spät nach Hause kam – ich hatte einen weiten Heimweg durch den Schlosspark – erwartete mich meine Mutter schon mit finsterem Gesicht. Obwohl es damals noch keine Handys gab, wusste sie immer Bescheid, wenn ich etwas angestellt hatte. Es ist mir heute noch ein Rätsel, wie sie so schnell davon erfahren konnte. Jedenfalls gab’s nachher die ersten und einzigen Watschen, die ich in meinem ganzen Leben jemals von ihr bekommen hatte.
(Text erstellt anlässlich eines privaten Festes, eines von vielen im Jahr 2025. Eisenstadt feiert 100 Jahre Landeshauptstadt des Burgenlandes)
© Hedda Pflagner 2025-07-31