Laura schaut mich an, während ich erzähle, und ich sehe ihr Gesicht, als wäre sie ein Spiegel in meine Vergangenheit. Ihre vollen naturgewellten Haare und die dunklen Augenbrauen, die jedem ihrer Blicke mehr Ausdruck verleihen.
»Dein Opa ist durch die Sicherheitstür durchgegangen und hat sich noch einmal umgedreht, um mir zuzuwinken, und mich dabei angesehen, als wäre ich die schönste Frau der Welt.«
»Und dann?«
»Ich bin schnurstracks zum nächstbesten Schalter gegangen und habe nach dem günstigsten Ticket nach New York gefragt.
»Das ist nicht wahr!« Laura lacht auf und legt die halbgeschälte Kartoffel zur Seite.
»Doch, doch. Zwei Tage später bin ich ihm hinterhergeflogen. Meinen Eltern habe ich gesagt, ich besuche eine Freundin in Oberösterreich. Mein Vater hätte mir nie erlaubt, allein nach Amerika zu fliegen. Es war auch wirklich verrückt. Und deinem Opa habe ich auch nichts erzählt. Ich wollte ihn an seinem Geburtstag überraschen.«
»Und dann bist du tatsächlich nach New York geflogen?«
»Ich hatte mein schönstes Kleid an. Blau, mit einem süßen Dekolleté und meine Haare trug ich offen, so wie du heute. Auf der Straße pfiffen mir zwei junge Männer hinterher…«
»Und Opa, wie hat der reagiert?«
»Warte ab, dann erzähle ich dir, was passiert ist. Aber erst muss ich das Wasser aufsetzen, sonst wird es nichts mit unserem Abendessen.«
Es macht mir Spaß, Laura ein bisschen auf die Folter zu spannen. Noch ahnt sie nichts von dem unerwarteten Ende der Geschichte. Aber ich werde es ihr natürlich erzählen. Werde erzählen, wie ich überglücklich im Hotel ankam und erwartungsvoll an der Rezeption nach meinem Geliebten fragte. In meinem schönsten Schulenglisch. Und wie dann der Rezeptionist antwortete: » No, he doesn’t live here.« Ich dachte erst, er hätte mich einfach falsch verstanden und habe den ganzen langen Namen buchstabiert. Nichts. Gerhard war wirklich nicht da. Da war ich also, ganz allein, mitten in New York. Ohne Unterkunft, ohne Verlobten, ohne Plan.
Laura löchert mich, bis ich ihr die Geschichte meiner New York Reise weitererzähle. Dann schaut sie mich mit ihren großen Augen an: »Du hast ihn nie gesehen in New York? Ja wo war er denn?«
»Das weiß ich nicht.«
»Wie, das weißt du nicht? Ja hast du ihn denn nie gefragt?«
»Nein, ich bin nach ein paar Tagen zurückgeflogen nach Wien. Meinen Eltern habe ich gesagt, ich hätte eine schöne Zeit in Oberösterreich verbracht. Und dann habe ich Gerhard, also deinen Opa, vom Flughafen abgeholt.«
»Ja und hast du ihn denn nicht gefragt, wo er war? Hast du ihm denn nicht erzählt, dass du ihn gesucht hast?«
»Laura, ich habe bis heute niemandem erzählt, dass ich damals in New York war. Das war mein kleines Geheimnis, mein verrücktes Abenteuer, meine Geschichte nur für mich. Und jetzt kennst du sie auch, nur du.«
© Katharina Turecek 2022-05-07