von Evelyn Weyhe
Ich möchte meine Lieblingsstiefel noch ein letztes Mal reparieren zu lassen. Fast zehn Jahre habe ich sie durch die relativ kurzen Winter Andalusiens getragen. Die Ledersohle hat sich gelöst. Wo finde ich jetzt in Tarifa einen Schuster?
Ratlose Mienen bei spanischen Freunden. Maria meint schon mal einen in der Nähe der Tankstelle gesehen zu haben, Marta rät mir die alten Treter in den Müll zu werfen. Nein, das kommt nicht infrage!
An der Tankstelle beginne ich. Schuster, also das gibt es nicht in Tarifa, ist die einhellige Antwort. Ich frage bei meinem Gemüsehändler, was ein langes Palaver zwischen allen Kunden und den Verkäuferinnen auslöst. Es gibt ihn. Aber wo genau? Erste oder zweite Straße rechts. Immer dem Geruch nach soll ich gehen, es stinkt nach Katzen, weil er alle füttert. Endlich erreicht meine Nase so etwas wie Raubtiergeruch. Ein winziger Kiosk rundherum belagert von Katzen aller Art. Der Mann winkt mich freundlich heran. Der unsägliche Gestank lässt mich an Flucht denken. Ich halte die Stiefel hoch und zeige auf die durchgelaufene Sohle. Er schüttelt bedauernd den Kopf und grinst ein zahnloses Lachen. Nein. Er repariere nur Damenschuhe. Ich zeige auf mich und lächle ihn an. Er beugt sich hinunter und zieht ein Modell Stiletto hervor und deutet auf den winzigen Absatz. Das sind Damenschuhe!
Ich schlendere durch den alten Teil des schönen Ortes und steige die steile Treppe zum Rathaus hoch. Ratlose Gesichter. Die Sekretärin des Bürgermeisters weiß etwas. Erstmalig fällt der Name des geheimnisvollen Schusters: Juan Cacao. Pepe, der Inhaber des Lebensmittelladens wird genannt.
Dort muss ich mich erst durch mehrere Käsesorten essen und einen Fino trinken. Ja, natürlich kennt er Juan Cacao. Wenn ich die Straße Richtung Stadt nehmen würde, da sei es entweder die Nummer 21 oder 121.
Nr. 21 ist es nicht. Ich stehe vor der Nummer 121 und läute. Schlurfende Schritte. Durch den geöffneten Türspalt schaut mir ein mürrisches Frauengesicht entgegen. Natürlich! Siesta-Zeit! Vor Ostern könne ich gar nichts erwarten, der Meister hätte zu viel zu tun.
Mehre Wochen nach Ostern bin ich wieder in der Gegend. Ich läute. Der Meister persönlich! Ich frage nach meinen Stiefeln. Welche Stiefel? Er verschwindet und kehrt mit einem Arm voller Stiefel zurück. Ich entdecke meine ganz unten und will sie herausziehen. Aber so geht das nicht, er muss erst wissen, was daran gemacht werden soll. Was Offensichtlicheres gibt es eigentlich nicht, da die Sohle nur noch halb am Schuh hängt. Natürlich sind sie nicht repariert, werde ich belehrt, denn wenn jeder einfach so seine Schuhe abgeben, und nicht mehr abholen würde, da säße er auf diesen ganzen Galoschen fest. Ich schlage ihm vor, doch von den Kunden das Geld im Voraus zu kassieren. Die Idee gefällt ihm sichtlich, und er fordert umgehend dreißig Euro von mir ein.
Eines Tages waren sie dann wirklich fertig und ich laufe heute noch auf den Ledersohlen von Juan Cacao.
© Evelyn Weyhe 2020-07-29