von Dorian
Dorian hämmerte gerade mit der Faust auf einen unwilligen Zigarettenautomaten ein, als er von hinten angesprochen wurde.
„Nimm doch eine von meinen!“
Eine dunkelhaarige kecke Berliner Göre, Dorian schätzte sie auf Anfang 20, hielt ihm auffordernd eine geöffnete Zigarettenschachtel hin. Nur zögerlich griff er nach der Cabinet, war er doch von DDR-Zigaretten nicht sonderlich begeistert. Dorian kam mit ihr ins Gespräch. Sie war aus dem Osten und seit geraumer Zeit auf Trebe. Da er neugierig war auf ihre Lebensgeschichte, lud er sie zu sich nach Hause ein.
Dana war ein Heimkind. Als die Wende kam, wollte sie die Gelegenheit wahrnehmen und die neue vielversprechende Welt, die sich da auf einmal vor ihr auftat, kennenlernen. Sie jobbte mal hier, mal da und schlug sich mehr schlecht als recht durchs Leben. Irgendwann fing sie an zu trinken und landete schließlich in Pennerkreisen ohne festen Wohnsitz und ohne jeglichen Bezug zu einem geregelten Leben. Zu allem Überfluss hatte sie sich noch mit HIV angesteckt.
In den folgenden Wochen unternahmen Dana und Dorian einiges zusammen. Es war Hochsommer und so gingen sie öfters im Strandbad Wannsee baden. Sie war eine erstaunlich gute Schwimmerin, beim Wettschwimmen gewann sie Dorian um Längen.
Dana hatte eine Halbschwester, die im Prenzlauer Berg wohnte. Sie suchte den Kontakt mit ihrer Familie. Mehrmals hatte sie Dorian dorthin mitgenommen.
Sogar ihren Eltern hatte sie ihn einmal vorgestellt. Diese wohnten in einer Arbeitersiedlung auf der östlichen gelegenen Seite der Mauer. Beide waren bereits älteren Jahrgangs, hätten ihre Großeltern sein können. Dorian erinnerte sich noch genau: Sie versuchten nett zu sein, servierten gastfreundlich Kaffee und selbstgemachten Kuchen, aber es fiel ihm sofort auf, wie unangenehm ihnen dieser Besuch war und wie distanziert sie sich ihrer Tochter gegenüber verhielten. Später erzählte ihm Dana, dass sie von ihren Eltern schon als kleines Mädchen weggegeben wurde. Warum, kam nie zur Sprache.
Dorian war zu der Zeit Junkie und Dana freundete sich damit an. Eines Tages war sie dann plötzlich verschwunden. Mit ihr 300 Mark.
Erst Jahre später sollte er in einer XY-Sendung im Zusammenhang mit einem Prostituiertenmordfall wieder von ihr hören. 40 Leichenstücke waren in einem Fluss nördlich von Berlin aufgefunden worden. Ein zu jener Zeit aktiver Serienmörder, ein Berliner Hautarzt, soll sie angeblich auf dem Gewissen haben. Jahre später stellte sich erst heraus, dass die Wirklichkeit eine ganz andere war. Ein anderer Arzt, einem dem die Approbation aberkannt worden war, hatte sie in seinem Haus in Berlin ermordet, danach mit dem Skalpell zerstückelt. Dieser floh nach Brasilien, wo er sich später das Leben nahm. Was und warum es passiert war ließ sich dadurch nicht mehr nachvollziehen. Vielleicht hatte sie ihn mit Aids angesteckt und es war Rache oder aber es war einfach pure Mordlust.
Arme Dana, ohne Dorian wäre es vielleicht nicht so gekommen
© Dorian 2021-08-28