von lavoce
In der präinternetten Zeit, in die auch meine Jugend fallen sollte, existierte ein Verkuppelungstempel, mit dem keine heutige Partnervermittlungsbörse der Welt hätte mithalten können: Unsere Tanzschule. Gut, die Auswahl an potenziellen künftigen Lovern war schier enden wollend, was nichts daran änderte, dass wir Mädchen ob der testosterongeschwängerten Luft zuweilen heillos überfordert waren.
Der Danceroom bildete den heutigen Chatroom. Ein Blick ersetzte den Click und Körbe wurden auch damals fleißig einkassiert und ausgeteilt.
Mein allererster Abend in dieser genialen Einrichtung verlief etwas anders als erwartet. Kaum hatte ich den wunderschönen, riesigen Saal betreten, fühlte ich mich wie ein zartes, rosa, jungfräuliches Hüftsteak auf Fleischbeschau. Vielleicht hätte ich den Minirock und die Netzstrumpfhose doch durch etwas Züchtigeres ersetzen sollen?
Um meinem Bruder, den ich vorher wochenlang lieb erpresst hatte, mich mitzunehmen, nicht den letzten Nerv zu rauben, platzierte ich mich weit, weit weg von ihm allein auf einem Bankerl und beobachtete das tänzerische Treiben.
Plötzlich erblickte ich einen sehr attraktiven, blonden, langhaarigen Typ, der auf mich zukam. Der würde doch nicht …?
„Willst mit mir tanzen?“
Vor lauter Überraschung wäre ich beinahe von meinem Sessel geplumpst. Ich blickte ihn ungläubig aus riesengroßen Kulleraugen an und brachte keinen Ton heraus. Nicken funktionierte glücklicherweise und so landete ich auf der Tanzfläche.
Der Junge legte zärtlich einen Arm um meine Taille, mit der anderen Hand ergriff er meine und nach ein paar anfänglichen fußtechnischen Missverständnissen foxtrotteten wir über das Parkett.
Mein Tanzpartner blickte mich lächelnd an: „Du weißt schon, dass das Stofffetzerl, das du trägst, verboten gehört …“ Er deutete vage in Richtung meines Minirocks. Verlegen zupfte ich das Teil ein wenig nach unten, das davon aber gar nichts zu halten schien und lustig wieder nach oben wanderte, was meinen Tanzpartner sichtlich amüsierte.
Seine Augen musterten mich von oben bis unten, um etwas länger an meinen Lippen haften zu bleiben. Es knisterte gewaltig. Die Zeit schien stillzustehen. Sein Blick versank in meinem. Langsam senkte sich sein Kopf zu meinem herab. Ich schloss die Augen und …
„Hallllloooo??? Was macht ihr beiden Turteltauben da?“
Größere Brüder, wer hatte die nochmal erfunden?
Der magische Moment war verflogen. Meinen ganz persönlichen Verehrer schien mein mit mir in einem sehr nahen Verwandtschaftsverhältnis stehender Bodyguard nicht allzu sehr zu stören. Wir tanzten den ganzen Abend lang. Am Ende standen wir allein auf der Tanzfläche. Er blickte mir tief in die Augen: „Bis bald, meine Tanzprinzessin!“ und hauchte mir einen zarten Kuss auf die Wange.
Aufgrund meines Alters und verschiedener anderer Umstände durfte ich die Tanzschule erst wieder ein halbes Jahr später betreten.
ER war nicht mehr da.
Die Erinnerung ist geblieben …
© lavoce 2021-10-13