Danke „Papa“. Danke für Nichts!

Nicole Liedmann

von Nicole Liedmann

Story

Als ich 10 Jahre alt war, hast du das erste Mal die Hand gehoben. Hast mich psychisch und physisch weggeschoben, aber wolltest trotzdem immer in meine Nähe, damit ich sehe und verstehe, wie sehr du mich hasst. Geschlagen werden tut weh, kann ich sagen, aber die Erinnerungen, die mich Tag für Tag jagen, sind die, in denen du mich beleidigst und mich behandelst wie Dreck. In denen ich im Bett liege und mich nicht mehr regulieren kann und in denen ich mich frage: Wann? Wann hörst du endlich damit auf? Es wurde nie besser, eher schlimmer und immer wenn ich dann mal dachte: Heute ist es in Ordnung, wurde ich wieder und wieder an die Realität erinnert. Ich habe schnell gelernt, Menschen ändern sich nicht von jetzt auf Gleich. Also das gibt es vielleicht. Aber ganz selten. So 0,1 % eventuell. Schnell habe ich festgestellt, dass diese Welt so unfair sein kann. Ich meine. Ein Mann. Ein erwachsener Mann. Schlägt ein Kind und benimmt sich im öffentlichen Raum wie ein liebender Vater, unterstützt den Traum des Kindes, aber in den eigenen vier Wänden sieht die Welt ganz anders aus. Das Kind kennt kein liebendes zu Haus. Es fühlt sich unwohl und ungeliebt und so, als ob niemand es mit seinen Bedürfnissen sieht. Es will einfach weg, will ein sicheres Versteck. Einen sicheren Ort, wo es ihn nie wieder sehen muss. Aber den gab es nicht. Nirgendwo war Licht in diesem dunklen Tunnel und es gab keinen Ein – oder Ausgang. Keine Möglichkeit zur Flucht und diese ganze Wucht aus Angst und Verzweiflung und Verletzung hat immer wieder auf mich eingeschlagen. Du warst lange Zeit wie ein Vater für mich. Ich habe dich „Papa“ genannt und wenn ich jetzt zurückdenke, wenn ich diesem Thema meine Aufmerksamkeit schenke, dann frage ich mich, wie ich so blind sein konnte. Ich weiß, ich war ein Kind und ich war gutgläubig und abhängig. Aber du hast den Namen „Papa“ nicht verdient. Nie. Dein Handeln war schon immer geprägt von Abnormität. Immer ging es für dich um die Macht. Das kleine Kind ist schwach und ohne mich kann es nicht. Wenn ich es stundenlang ignoriere und einfach das Interesse verliere, weil ich jetzt ohne Erklärung wütend bin, dann bekomme ich einen Lebenssinn. Denn mein Lebenssinn ist es, kleinen Kindern das Herz zu brechen und mich an dem Universum zu rächen, dafür, dass meine Kindheit scheiße war. Denn wenn ich keine schöne Kindheit haben kann, dann verdient es kein Kind. Du bist die Definition von Boshaftigkeit. Ich weiß. Es gibt mit 100% Sicherheit Menschen, die noch schlimmeres tun oder getan haben, aber ich kann dir sagen: Du hast mein ganzes Leben zerstört. Ich kann die Zeit nicht zurückdrehen und werde nie sehen, wie es ist, in einem schönen Elternhaus aufzuwachsen. Wie es ist, bedingungslos geliebt zu werden. Wie es ist, wenn man nach Hause kommt und sich sicher fühlt und nicht innerlich aufgewühlt, weil man weiß, dass jedes Wort falsch verstanden werden könnte. Ich kann nicht erzählen, wie wir zusammen Fußball gespielt haben und ich kann nicht sagen, dass ich einen liebenden Vater hatte. Das tut weh. Am Ende kann ich sagen, dass ich mich wohl immer fragen werde, wie es ist, einen guten Vater zu haben. Leider habe ich keine Ahnung. Ich muss mich damit abfinden und muss aufhören, diesen Gedanken in meinem Kopf von links nach rechts zu winden. Ich habe irgendwann einen Lichtblick gefunden: Zeit heilt viele Wunden.

© Nicole Liedmann 2024-08-11

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